Normalerweise dauert die Überfahrt im Viehtransportschiff maximal neun Tage, und schon die sind für die Tiere quälend lang, sagt die Tierärztin María Boada. Mittlerweile aber haben die Rinder auf der Karim Allah 73 Tage auf See hinter sich. Und nach dieser langen Zeit unter Deck, in ihrem eigenen Mist stehend, sollen sie nun in Spanien gekeult werden.
María Boada ist Tierärztin bei der Animal Welfare Foundation (AWF). Die Tierschutzorganisation kritisiert seit Langem den Export von Kälbern aus Ländern wie Deutschland nach Spanien. Für viele Rinder endet der Transport dort nämlich nicht, sie werden weiter nach Nordafrika gebracht, wo sie oft misshandelt und unter brutalen Bedingungen geschächtet werden. Die AWF hat viele dieser Grausamkeiten auf Video dokumentiert.
Die jüngsten Vorfälle auf dem Mittelmeer allerdings stechen heraus aus dieser ohnehin schon grausamen Routine. Am 18. Dezember wurden nach Informationen der Tierschützer im spanischen Cartagena 895 junge Bullen auf die Karim Allah geladen. Die Tiere sollten nach neuntägiger Überfahrt an ihrem Ziel ankommen, dem türkischen Hafen von İskenderun. Allerdings werden sie wohl nie wieder Land betreten. Schuld daran sei ein Versagen aller beteiligter Behörden, insbesondere der spanischen, sagt Boada.
Die türkischen Behörden befürchten: Blauzungenkrankheit
In der Türkei verweigerten die Behörden die Annahme der Fracht, mutmaßlich weil einige der Tiere aus einer Region in Spanien stammen, in der kürzlich ein Ausbruch der Blauzungenkrankheit gemeldet worden war. Das Virus ist bei Viehhaltern gefürchtet: Die Blauzungenkrankheit verbreitet sich unter Rindern und Schafen über Insektenstiche und gilt als meldepflichtige Tierseuche. Zwar ist die Erkrankung nicht auf Menschen übertragbar, aber wenn in einem Stall ein Tier infiziert ist, kann sich das Virus dort rasant ausbreiten.
Nachdem die Ladung des Schiffes in der Türkei nicht gelöscht werden konnte, suchte der Kapitän der Karim Allah einen anderen Abnehmer für die Tiere. Er steuerte die libysche Hauptstadt Tripolis an. Doch auch dort wollte man die Rinder nicht an Land lassen - den Versicherungen der Schiffsbesatzung, dass sie sich bei bester Gesundheit befänden, zum Trotz.
Drei Wochen irrte das Schiff da bereits übers Mittelmeer. Auf eine so lange Fahrt war weder die Besatzung der Karim Allah vorbereitet, noch waren es das Schiff oder die Rinder, die unter Deck eingesperrt waren. Futter und Wasser wurden knapp. Und auf den Stahlböden standen die Tiere in ihren eigenen Exkrementen. Man könne sich da unten kaum aufrichten, da werde nicht gemistet, heißt es von Animal Welfare. Die Tierschützer kennen das Schiff, weil sie schon lange kritisieren, dass es für Viehtransporte ungeeignet sei.
Die Karim Allah, die unter libanesischer Flagge fährt, wurde 1965 eigentlich als Autofähre vom Stapel gelassen. Laut AWF sind die Rampen auf dem Schiff so steil, dass sich regelmäßig Tiere verletzten. Außerdem gebe es scharfe Kanten im Frachtraum, die ebenfalls zur Gefahr für die Rinder werden können.
Als nächstes versuchte es die Besatzung in Tunesien, doch auch dort ließen die Behörden das Schiff Mitte Januar nicht anlegen. Daraufhin steuerte die Karim Allah Sizilien an. Dort endlich konnten Futter und Wasser nachgeladen werden. Doch die Odyssee der Rinder war nicht zu Ende.
Vor zehn Tagen sichteten die Tierschützer die Karim Allah nahe Sardinien. Noch immer hatte der Kapitän keine Erlaubnis, einen Hafen anzusteuern, noch immer waren die Rinder unter Deck. Er wandte sich an seinen Ursprungshafen, Cartagena. Doch nun verweigerten auch die spanischen Behörden die Wiedereinfuhr jener Rinder, die zehn Wochen zuvor ebendort verladen worden waren. Der Grund: Europa importiert kein Lebendvieh aus Drittstaaten. Zumal aus Libyen zuletzt Fälle von Maul- und Klauenseuche gemeldet wurden. Dass die Rinder das Schiff weder in Libyen noch anderswo verlassen haben, sei den Behörden egal gewesen, erzählt Veterinärin María Boada.
Erst nach einigen Tagen wurde die Entscheidung widerrufen. Boada vermutet, dass der öffentliche Druck dazu beigetragen habe. Die Karim Allah fuhr in den Hafen von Cartagena ein, die Rinder aber mussten an Bord bleiben. Am vergangenen Freitag untersuchten staatliche Tierärzte die Tiere auf der Karim Allah. In dem Bericht der Mediziner war von der Blauzungenkrankheit keine Rede mehr - stattdessen stellten die Tierärzte fest, dass die jungen Bullen durch die lange Zeit an Bord stark geschwächt sind. Dass die meisten unter Pilzinfektionen und Erkrankungen des Verdauungstraktes leiden, dass bei vielen die Augen entzündet sind. Die Empfehlung der Veterinäre: Sämtliche Tiere sollen getötet werden.
Eben dies wird nun im Hafen von Cartagena vorbereitet. Das Keulen von etwa 860 Rindern - etwa 30 Tiere verendeten bereits während der Irrfahrt auf dem Mittelmeer - solle noch in dieser Woche geschehen, sagt Tierschützerin María Boada. Ob es überhaupt Fälle der Blauzungenkrankheit an Bord der Karim Allah gegeben hat, ist ihrer Meinung nach fraglich. Die Blutproben zur Diagnose der Infektion seien nie im Labor angekommen, die Hafenbehörden in Cartagena halten sie noch immer zurück. Für die meisten Rinder sei die Krankheit nicht tödlich. Und es gäbe eine Impfung, die Tiere schützen könnte. Und dann sagt María Boada noch, dass ein zweites Schiff genau wie die Karim Allah seit 18. Dezember auf dem Mittelmeer kreuzt: Die Elbeik ankerte zuletzt in türkischen Gewässern, sie hat 1776 Tiere an Bord.