Ein eigens freigeräumter Saal, dunkelgrün gestrichen. Es ist ein würdiger, fast weihevoller Ort, in dem das Madrider Museo del Prado an diesem Montag sein neuestes Exponat enthüllt hat, „eine der größten Entdeckungen in der Geschichte der Kunst“, wie das Museum versichert. TV-Teams aus aller Welt postierten sich im Halbdunkel vor einem leuchtenden Christus mit Dornenkrone, um ihre Aufsager zu machen. Es ist kein großes Bild, das nun bis zum 13. Oktober im Saal 8a des Prado der Öffentlichkeit zugänglich ist. Nur 111 mal 86 Zentimeter misst es, aber für die Kunstwelt ist es eine Sensation: ein jahrhundertelang verschollenes Werk des Malers Michelangelo Merisi alias Caravaggio.
Wer das berühmte Spiel Caravaggios mit Licht und Schatten mag, wird an diesem Werk Freude haben. Es zeigt die in der Malerei oft dargestellte „Ecce Homo“-Szene, jenen Moment, an dem der römische Statthalter Judäas, Pontius Pilatus, über Jesus nach dessen Martyrium sagt: „Seht, ein Mensch.“ In Caravaggios Version lehnt sich ein bärtiger Pilatus über die Schulter blickend dem Betrachter zu. Der Ausdruck in den Gesichtern, Pilatus’ Zweifel, Jesu Entrücktheit und die Erregtheit eines Soldaten, ist stark, im Fall des Soldaten gar komisch. Das ist typisch für die fast schon expressionistische Spätphase Caravaggios.
Für 1500 Euro, kaum mehr als für einen Flohmarktschinken, wurde das Bild angeboten
Beinahe wäre das Bild in der Versenkung geblieben. Als Teil einer privaten Erbmasse tauchte es im April 2021 im Online-Katalog des Madrider Auktionshauses Ansorena auf – als Werk aus der Schule eines spanischen Mittelklasse-Barockmalers. Den Schätzpreis setzte das Auktionshaus mit 1500 Euro an, kaum mehr als ein Flohmarktschinken. Das Bild war fleckig, der Firnis trübe.
„Ein Antiquar schickte mir einen Screenshot“, erinnert sich die italienische Caravaggio-Expertin und Professorin für Kunstgeschichte, Maria Cristina Terzaghi. „Zunächst hatte ich Zweifel, wegen der Kopfform von Jesus, aber als ich eine hochaufgelöste Version bekam, war mir schnell klar: Das ist ein Caravaggio“, sagt sie. Dafür sprachen nicht nur der Stil und die Pinselführung, es wurden auch Dokumente gefunden, mit denen die Geschichte zweifelsfrei rekonstruiert werden konnte. Demnach hat der italienische Meister das Bild zwischen 1605 und 1609 gemalt. Im selben Jahrhundert gelangte es in die Privatsammlung des spanischen Königs Philipp IV. und später in die Hände eines Diplomaten.
Exportverbot für ein nationales Kulturgut
Nach der Online-Veröffentlichung sprach sich die Sensation in der Kunstwelt herum. Ausländische Investoren versuchten, das Gemälde zu kaufen, doch der spanische Staat erklärte es rechtzeitig zum nationalen Kulturgut und erließ ein Exportverbot. Allerdings konnte oder wollte der Staat es selbst nicht ankaufen.
Auf dem freien Markt hätte es vermutlich mehr als 100 Millionen Euro eingebracht. Mit dem Exportverbot und der Zusage, das Werk neun Monate lang dem Prado zu überlassen, ging es für 30 Millionen an einen wohlhabenden Briten, der anonym bleiben möchte. Was nach der Leihgabe geschieht, ist unklar. Grundsätzlich habe der Besitzer die Absicht geäußert, das Bild öffentlich zugänglich zu machen, sagt ein Sprecher des Museums. Doch schriftliche Verträge gibt es darüber bislang nicht.