Sommerloch 1988:Tage des Schreckens

Horror-Sommer 1988: Von Gladbeck aus entwickelt sich eines der schlimmsten Geiseldramen der Republik. Und wenige Tage später endet in Ramstein eine Flugshow in der Katastrophe.

Hans-Jürgen Jakobs

Es beginnt mit einem Polizisten, der nur eine Badehose tragen darf und den beiden Räubern 420.000 Mark aus der Bank bringen muss. Die Gangster flüchten mit zwei Geiseln. Das alles passiert am 16. August 1988, und es ist der Beginn einer Irrfahrt durch Deutschland mit Tod und Terror.

Sommerloch 1988: Die Geisel Silke Bischoff kurz vor ihrer Erschießung mit dem Entführer Dieter Degowski.

Die Geisel Silke Bischoff kurz vor ihrer Erschießung mit dem Entführer Dieter Degowski.

(Foto: Foto: AP)

Gladbeck, der nordrhein-westfälische Ort des Bankraubs, wird zum Synonym des Schreckens. Die Bankräuber Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski kapern einen Linienbus in Bremen, töten einen Fahrgast und reden in den nächsten Stunden fortwährend mit der Presse über ihre aberwitzigen Forderungen, aufgeputscht mit Kokain und Alkohol. Berühmt wird ein Bild aus der Kölner Innenstadt, die beiden im Auto, von Menschen umringt, darunter der Reporter Udo Röbel, später Chefredakteur von Bild.

Am Donnerstagmittag, 13.50 Uhr, stoppt die Polizei den Flucht-Pkw auf der Autobahn bei Bad Honnef. Die Geisel Silke Bischoff ist sofort tot. Von einem "fürchterlichen Finale" schreibt die SZ, und in den nächsten Tagen diskutiert Deutschland wieder und wieder über diese Geschichte - vor allem über die Rolle der Polizei und der Medien, die das makabre Schauspiel nahe begleitet haben. Die Bundesregierung von Helmut Kohl distanziert sich vom Polizeieinsatz, die Journalistenverbände fordern eine Selbstkritik der Medien.

Bayerisch löwenstark präsentiert sich CSU-Chef Franz Josef Strauß und fordert den Rücktritt des nordrhein-westfälischen SPD-Innenministers. Sein eigenes Innenministerium lässt in München vorführen, wie der Freistaat die Geiselnehmer unschädlich gemacht hätte - eine Inszenierung wie im "Tatort" der ARD auf dem Gelände der Münchner Bereitschaftspolizei. Staatssekretär Peter Gauweiler lobt vor Reportern den "finalen Rettungsschuss". Er gilt als ministrabel.

70 Tote beim Flugunglück in Ramstein

Dieser Sommer 1988 geht als Sommer der Katastrophen in die Geschichte ein. Wenige Tage nach Gladbeck zerstört ein Großfeuer Teile der schönen Altstadt Lissabons; sieben Straßenblocks werden vernichtet. Drei Tage später diskutieren erneut die Bürger und die Politiker in Deutschland über ein Desaster: Ein Unfall bei einer Flugzeugshow auf dem US-Stützpunkt Ramstein fordert 70 Tote und 450 Verletzte. Ein Düsenjäger war in eine Zuschauermenge gestürzt. Flugtage werden daraufhin abgesagt, ja, Verteidigungsminister Rupert Scholz verbietet Kunstflugvorführungen "für alle Zukunft". Kurz vor Ramstein hat er solche militärischen Flugdemonstrationen noch befürwortet. Die Nato fühlt sich daran nicht gebunden.

Reinheitsgebot für Spaghetti

Wenn es einmal lustig werden soll in diesen Monaten, dann sorgt der Lebensmittelmarkt dafür. Einmal geht es um das EU-Reinheitsgebot für italienische Spaghetti: Nachdem zuvor schon deutsche Bierbrauer akzeptieren mussten, dass Ausländer ihren nicht nach Reinheitsgebot gebrauten Gerstensaft wegen des EU-Rechts nach Deutschland einführen dürfen, erwischt es jetzt die Puristen aus Italien.

Das südeuropäische Land muss hinnehmen, dass deutsche, zum Teil aus Weichweizen hergestellte Nudeln über die Grenze kommen. Der italienische Verbraucher, an Hartweizen-Pasta gewohnt, ist nicht länger geschützt - er hat die Attacke aus dem Norden aber in den Jahren danach augenscheinlich gut verkraftet.

Und dann entdecken Schweizer Forscher im Emmentaler Käse, dass die Löcher tatsächlich nicht mehr rund und regelmäßig sind - sondern ausgefranst, oval oder rissig. Sie stehen vor einem Rätsel. Ein Riss geht durch den Käse. Zehn Prozent der Produktion sind von der fehlerhaften Blasenbildung betroffen. Es scheint an der Nachgärung zu liegen, dass die Kunst der Käsens leidet.

Kreml-Flieger Rust darf zurück in die Heimat

Na ja, die Welt versinkt nicht in diesen Löchern, sie dreht sich weiter. Löwenbräu darf in Moskau ein Bierrestaurant ganz in der Nähe des Roten Platzes eröffnen, in dem auch Emmentaler gereicht wird. Die noch existierende Sowjetunion ist unter Regierungschef Michail Gorbatschow ganz auf den Kurs der Perestroika gegangen. Auch darf der Sportflieger Matthias Rust, den es mit seinem Fluggerät ebenfalls in die Nähe des Roten Platzes gezogen hatte, nach 14 Monaten Haft wieder in die Heimat, wo er einige Tage höchster Aufmerksamkeit genießt.

Ansonsten bleibt bemerkenswert, dass Steffi Graf erstmals in Wimbledon gewinnt, die DDR auf ihren Autobahnen für Westautos Pannenhelfer im Auftrag des ADAC aufbietet, die spanische Polizei 17 Tonnen Haschisch in einer Felshöhle entdeckt und ein Verwandter von Loch Ness in China auftaucht.

Aber darüber wird nicht so lange geredet. Es gibt einfach zu viele Tote im Sommer 1988.

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