Sommerloch 1957:Churchills letzte Sau

1957 war ein guter Jahrgang. Adenauer ratterte im Wahlkampfzug durch Deutschland, Winston Churchill trennte sich von seinem Borstenvieh. Und durch die Schlagzeilen geisterte Nessie, die Mutter aller Sommerloch-Tiere.

Johannes Honsell

sueddeutsche.de feiert 50 Jahre Sommerloch: Jeder Sommer des vergangenen halben Jahrhunderts bekommt sein Denkmal, und das von heute an jeden Tag. Bis das Sommerloch 2007 wieder zu ist.

Nessie, das legendäre Sommerlochvieh in ihrem schottischen Loch

Schnell wie ein Motorboot: Nessie, das legendäre Sommerlochvieh, die Saurier-Echsen-Seeschlange, in ihrem schottischen Loch

(Foto: Foto: Getty Images)

1957 war ein toller Sommer. "Afrikanische Hitze in Europa! In München ist es heißer als in Algier", schrieb die SZ. Dann regnete es drei Wochen ununterbrochen. Aber deshalb gleich Klimawandel? Unsinn, sagten die Wetterforscher damals. Schließlich blühten 1186 die Bäume schon im Januar, und 1932 fror die Adria zu.

Die Zeitungen, zermürbt vom Wetter und der mauen Nachrichtenlage, schlagzeilten ihre Leser ins Koma: "London: Einigung noch immer nicht in Sicht". "Abrüstungskonferenz: Sowjets und Amerikaner uneins".

In Deutschland erlebte ein greiser Quasi-Monarch zauberhafte Sommermonate. In einer Art "Rail Force One" ratterte Konrad Adenauer durch die Lande und warnte vor den Schrecken des Quasi-Kommunismus: "Ein SPD-Sieg wäre der Untergang Deutschlands".

Der alte Churchill wiederum hätte sich gerne schon früher vor den Kommunisten gefürchtet. Schon nach dem Krieg fand er, man habe "das falsche Schwein geschlachtet", soll heißen: Hitler statt Stalin.

Die Schweine-Metapher hing ihm offenbar nach, im Sommer 1957 jedenfalls versteigerte er sein letztes Schwein, zusammen mit den anderen 139 letzten Schweinen. Ab da war Sir Winston nicht mehr als Landwirt tätig, und auch ans Rednerpult des Unterhauses trat er nur noch selten.

So hätte der Sommer zu Ende gehen können. Aber es fehlte noch das Sommerloch-Tier. Ein todessehnsüchtiger Bär, ein Kaiman im Badesee oder ein Känguru im Vorgarten, das termingerecht aus dem Zoo entwischt, wenn Hitze und Langeweile zu einem zähen Brei geronnen sind. Im Sommer 1957 übernahm diesen Part das No-News-Ungeheuer höchst selbst, das berühmte Urvieh aus dem schottischen Loch.

Das heißt, Nessie kam nicht persönlich. Aber es wurde viel über es geredet. Schuld daran war die Britin Constance Whyte, deren Buch ("More than a legend") die mystische Seeschlange wieder ins Gespräch brachte. Die SZ fasste den damaligen Wissenstand zusammen: "Sechs bis zehn Meter lang, zwei bis drei Höcker, kleiner, schafartiger Kopf. Schwimmt so schnell wie ein Motorboot".

Im britischen Unterhaus schlug der Labour-Abgeordnete Hughes der Regierung vor, auf offizielle Suchmission zu gehen, mit Hilfe neuartiger Unterwasserkameras. "Geht's noch?", antwortete die Regierung, und außerdem: mit solchen Kameras erforsche man FISCHE. Aber Hughes könne ja gerne selbst tauchen. Hughes war beleidigt, die Saurier-Echsen-Seeschlange blieb unerspäht. Es wurde Herbst.

Adenauer bekam die absolute Mehrheit, Willy Brandt wurde Bürgermeister von West-Berlin. Sputnik 1 startete ins Weltall, sodass der Westen fortan noch mehr Angst vor den Kommunisten haben musste.

Im kühlen See huschte derweil ein höckriges Wesen über düstren Grund, schnell wie ein Motorboot. Wer genau hinsah, konnte ein schafsartiges Gesicht erkennen, darauf ein Grinsen in der Art kleiner Kinder, die ihren Eltern eine Nase drehen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: