Sommerloch 2006:Sind wir nicht alle Bruno?

Euphorie wegen der Fußballweltmeisterschaft, Hysterie wegen Braunbär Bruno - und dann auch noch ein Planet, der auf einmal keiner mehr ist.

Christina Maria Berr

"Wollen wir uns duzen?", fragte die Bild-Zeitung in diesem Sommer. Wir wollten nicht. Doch es sollte auch ohne Du ein schöner Sommer werden, ein Sommer mit weltmeisterlicher Stimmung, ein bäriger Sommer.

Beinahe aber wäre es ein Katastrophensommer geworden. In zwei Zügen in Dortmund und Koblenz waren Sprengsätze entdeckt worden. Terroristen, von der Presse später Kofferbomber genannt, hatten zündfähige Bomben deponiert. Dass sie nicht explodierten, war vor allem eines: Glück.

Dann war Fußballweltmeisterschaft. Public Viewing wurde zu einem Lieblingswort des Sommers, überall in der Republik stellten Fußballfans und Geschäftsleute Leinwände auf. Selbst im Main, mitten in Frankfurt, schwamm eine Großleinwand. Die Stimmung war friedlich und euphorisch. Kleine Fahnen in Schwarz-Rot-Gold wurden wie Standarten stolz umhergefahren. In den Feuilletons konnte man philosophische Erklärungen über das wiedererwachte, das gesunde Nationalgefühl lesen.

Zwar wurden die Deutschen nicht Weltmeister, das wäre zu schön gewesen. Gescheitert war die Nationalmannschaft an den Italienern, die am 9. Juli Weltmeister wurden. Sieger der Herzen blieben die Deutschen. Nur einer trübte die Stimmung: Bundestrainer Jürgen Klinsmann erklärte zwei Tage nach der Weltmeisterschaft seinen Rücktritt.

Sprachlos war die Welt allerdings angesichts der unglaublichen Entgleisung von Zinédine Zidane. Der französische Wunderspieler hatte dem Italiener Marco Materazzi am Ende des Endspiels seinen Kopf in die Brust gerammt. Es hätte das glorreiche Finale des bis dahin von allen geliebten Ballkünstlers werden sollen. Nun wurde er wie ein böser Bub des Feldes verwiesen. Danach wurde monatelang spekuliert, welche Beleidigung des Italieners Zidane derart in Rage gebracht hatte. Materazzi gab erst ein Jahr später zu, dass er die Schwester des Franzosen als Prostiuierte bezeichnet hatte.

Aber das war nicht die einzige Ungeheuerlichkeit des Sommers. So verschwand einfach der neunte Planet aus dem Sonnensystem. Dem Himmelskörper Pluto wurde nämlich der Status des Planeten aberkannt. Pluto selbst störte das nicht, kreist er doch nun als Zwergplanet - so die neue Kategorie - um die Erde.

Der Skandale nicht genug: Unmittelbar vor dem Start der Tour de France wurde Jan Ulrich wegen Dopingverdachts gesperrt, gemeinsam mit anderen Tour-Favoriten. Aber das war, so klug ist man 2007, nur eine Episode in einer langen Reihe skandalöser Momente.

Sind wir nicht alle Bruno?

Aufruhr gab es im Sommer 2006 auch um Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Der bekannte, im Zweiten Weltkrieg Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Über die Bedeutung dieses späten Bekenntnisses wurde heftig diskutiert. Verleger, Schriftsteller und Kabarettisten, sie alle hatten ihre Meinung - für oder gegen Grass.

In Bayern war ohnehin der Bär los: Bruno oder auch JJ1 genannt. Der Braunbär, der in den Bayerischen Alpen umherstreunte, wurde auf einmal überall gesehen. So mancher Wanderer entdeckte den Bären oder zumindest seine Spuren, und wenn es in Wirklichkeit auch nur ein Büschel Ziegenhaare waren.

Der Bär wurde von Ministerpräsident Edmund Stoiber zum "Problembären" erklärt. Norwegische Bärenfänger kamen, jagten Bruno und nach einigen Wochen zogen die Spezialisten erfolglos wieder von dannen. Dann, am 26. Juni, wurde Bruno nach fünfwöchiger Jagd erschossen. Die Jäger blieben geheim. Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf, der den Bären zum Abschuss freigegeben hatte, bekam Morddrohungen.

Heute, über ein Jahr nach seinem Abschuss, kommt Bruno immer noch nicht zur Ruhe. Er liegt an einem geheimgehaltenen Ort - vermutlich im Tiermedizinischen Institut in München. Ein Prozess um seinen Abschuss ist noch nicht beendet und auf ein Museum, in dem Bruno ausgestellt werden könnte, hat man sich auch noch nicht geeinigt. Doch längst jagt die Welt einem anderen, einem weißeren, Bären hinterher.

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