Süddeutsche Zeitung

Sommerloch 1997:Brutal weichgespült

Den Sommer 1997 prägen weinende Menschen, die Blumen niederlegen und solche, die Briefmarken kaufen. Und am Ende hassen sehr viele Menschen einen Mann und seine Kamera.

Sarina Märschel

Im Juni 1997 ist die Oder noch ein ruhiger Fluss irgendwo im Osten. Am Ende des Sommers treibt der Name vielen Männern und Frauen Tränen in die Augen.

Anfang Juli beginnt es zu tröpfeln, nachdem über dem tschechischen und polnischen Atlasgebirge dicke Wolken aufgezogen sind. Es dauert nicht lange und sintflutartige Regengüsse setzten die Region unter Wasser, einige Tage später rollt die Hochwasserwelle in Deutschland an. Deiche weichen auf, der Druck auf ihnen beträgt mittlerweile rund sechs Tonnen pro Quadratmeter. Erste Evakuierungen laufen auf Hochtouren. Mit tausenden Sandsäcken wird notdürftig geschützt. "Hauptsache, alles hält dicht", heißt es am 21. Juli noch hoffnungsvoll in der Süddeutschen Zeitung.

Zwei Tage später brechen die ersten Deiche - die Journalisten schreiben vom "brutalen Weichspüler". Tausende müssen vor den Wassermassen fliehen. Bundeswehr und Freiwillige schleppen Sandsäcke, bis sie völlig erschöpft sind. Das Engagement zeigt Wirkung, am 29. Juli heißt es im Blatt: "Dauereinsatz der Helfer zahlt sich aus".

Im August können die Journalisten sogar schon positive Seiten am Oderhochwasser entdecken: Es hat die Deutschen einander näher gebracht, stellen sie fest. Eine Sondermarke für die Hochwasseropfer in Brandenburg wird herausgegeben. 90 Pfennig der 2-Mark-Briefmarke gehen an Menschen, die nach der Flut vor nichts als einem Haufen eingeweichter Möbel stehen. Die West- und die Ostdeutschen kaufen Briefmarken und spenden Geld. Sie beginnen sich ein bisschen zu mögen.

Helden der Hitze

Anfang August gräbt das Sommerloch dann einen großen Hohlraum in die Nachrichtenlage. Die Redakteure schwitzen, wegen der Temperaturen und vor allem wegen des Themenmangels - ihre Sommerserie nennen sie kurzerhand "Helden der Hitze". Die Porträtierten verbindet: die Hitze.

Ein schwarzer Amerikaner glüht vor Wut über die Benachteiligung von Menschen mit dunkler Hautfarbe, bei Mark Saunders glüht vor allem der Finger auf dem Auslöser: der Paparazzi verfolgt Prinzessin Diana auf Schritt und Tritt. Sie hasst ihn - er lebt von ihr. Wegen Menschen wie Mark Saunders überlegt Diana den ganzen Sommer über hin und her, ob sie England verlassen soll. Die Prinzessin fühlt sich von der Presse ihres Landes verfolgt. Schließlich entscheidet sie, als der Sommer schon fast vorbei ist: "Meine Söhne binden mich an England". Wenige Tage später, am 31. August 1997, stirbt die Prinzessin in Paris bei einem Autounfall - verfolgt von Paparazzi.

Diana wird zur Ikone, Elton John singt eine neue Version von "Candle in the Wind" und Millionen Menschen trauern um die "Königin der Herzen". Ein Blumenteppich bedeckt den Vorplatz des Buckingham Palace.

Ein medienpräsentes Wollknäuel

Neben der Königin der Herzen, Wassermassen und der Tour der France (Jan Ullrich gewinnt! Und damals freut man sich noch richtig darüber!) ist ein kleines Wollknäuel sehr medienpräsent: Polly. Polly wird knapp ein halbes Jahr nach Dolly geboren und ist ein Klon-Schaf mit menschlichen Genen. Der Schäfchen-Boom wird einigen Abiturienten zum Verhängnis, die gerne Ökotoxikologen geworden wären: Als erste Hochschule Deutschlands prüft die Universität Heidelberg im Sommer, ob sich Studienbewerber für das angestrebte Fach überhaupt eignen. Für die Ökotoxikologen gilt, wie die SZ knallhart mitteilt: "Wer Dolly nicht kennt, hat Pech".

Es war ein tränenreicher Sommer 1997, ein trauriger Sommer. Die Kollegen hofften, dass er schnell vorbeigehen möge. Schon im Juli begannen die Redakteure deshalb zu zählen und titelten: "Nur noch 65 Tage bis zum Herbstbeginn".

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