SMS:Die Sprache der Jugend

SMS-Kürzel bedeuten nicht den Untergang des Abendlandes, meint der Kommunikationswissenschaftler Joachim Höflich

Interview: Kassian Stroh

Joachim Höflich, 49, ist Professor für Kommunikationswissenschaft in Erfurt. Er hat in mehreren Studien das Kommunikationsverhalten vor allem Jugendlicher mit Handy und SMS untersucht.

SMS: Abgrenzung gegenüber den Älteren

Abgrenzung gegenüber den Älteren

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Eine SMS kostet 19 Cent, umfasst aber nur 160 Zeichen - eigentlich eine recht teure Kommunikationsform. Warum ist sie dennoch so erfolgreich? Höflich: Für Jugendliche sind das Handy im Allgemeinen und die SMS im Besonderen ihr erstes eigenes Medium. Vorher musste jede Kommunikation über die Barriere des Familientelefons laufen. Das Handy ermöglicht es, an den Eltern vorbei zu kommunizieren und gleichzeitig engste Kontakte mit dem Freundeskreis zu haben. Der Großteil der SMS-Botschaften wird, wie unsere Studien zeigen, von zu Hause aus verschickt. Außerdem hat die SMS den Vorteil, dass sie nicht aufdringlich ist und nebenbei benutzt werden kann. Dieses Moment ist gerade für die älteren Nutzer wichtig: Man kann eben überall auch da, wo das Klingeln von Handys nicht gerne gehört wird, eine Botschaft empfangen oder senden. So hat man die Möglichkeit, überall erreichbar zu sein und zu kommunizieren, ohne dass man anderen auf den Wecker geht.

SZ: Dieses "nicht aufdringlich" steht aber doch im Gegensatz zu dem, was Sie den "Zwang zur Reziprozität" nennen, den Zwang, sofort antworten zu müssen. Wie geht das zusammen? Höflich: Unaufdringlichkeit heißt nur, dass ich Dritte nicht störe. Das andere würde ich als Eindringlichkeit bezeichnen, und das hat das Medium natürlich schon. Man dringt in dem Sinne in andere ein, dass man von ihnen etwas verlangt. Bei der SMS haben wir ein Medium, das auf Schnelligkeit setzt - buchstäbliche Instant-Kommunikation. Während man sich für eine E-Mail zwei, drei Tage Zeit nehmen kann, für einen Brief zwei, drei Wochen, hat eine SMS eine Halbwertszeit von ein, zwei Stunden. Sonst wundert man sich schon, wenn der andere sich nicht meldet. Da wird ein Druck erzeugt.

SZ: Die SMS wird gegenüber anderen Kommunikationsformen als die unglaubwürdigste und die unwichtigste bewertet. Ist das nicht paradox? Höflich: Ja, zwar ist die erwähnte Umfrage schon zwei Jahre alt - da mag sich vielleicht etwas geändert haben -, aber ich denke, die SMS wird immer noch schlechter abschneiden, weil sich das klassische Telefon einfach so etabliert hat und Menschen sich auch ins Auge sehen wollen. Und zum Vertrauen: Man darf nicht vergessen, wie viele Flirt-Lines es gibt, in die man die Jugendlichen hineinbugsiert und die ja genau dieses falsche Vertrauen schamlos ausnutzen. Es gibt also schon gute Gründe, misstrauisch zu sein, dass man nicht in solche elektronische Räuberhöhlen gerät.

SZ: Warum schreiben Mädchen häufiger SMS als Jungen? Höflich: Mädchen lernen weitaus früher sprechen als Jungen, sie lesen mehr und schreiben mehr Briefe. Mädchen und Frauen haben eine viel größere Affinität zur Schriftlichkeit als Jungen, vor allem bei Kommunikation, bei der es um Emotionen geht. Was auch daran liegt, dass Frauen in der Familie die sozialen Außenkontakte übernehmen. Das ist aber kein spezielles Phänomen der SMS.

SZ: Kann man sagen, dass die SMS so eine Art Renaissance des Telegramms darstellt? Höflich: So falsch ist das gar nicht. Nur ist die SMS ein Telegramm, das weitaus flexibler ist. Und der Übergang zur MMS, der sich jetzt ja anbahnt, wird die ganze Kommunikationsform verändern. Dann wird sich zeigen, dass die MMS quasi ein Telegramm mit Anhang ist oder dass die MMS vom Telegramm buchstäblich zur mobilen E-Mail wird.

SZ: Rechtschreibung, Stil, Grammatik spielen ja fast keine Rolle bei der SMS - wird das Auswirkungen haben? Höflich: Vor einiger Zeit hat ein englischer Schüler einen ganzen Aufsatz in SMS-Kürzeln verfasst. Da sind die Pädagogen gleich erschrocken und haben den Untergang des Abendlandes eintreten sehen. Aber Sprache verändert sich chronisch, und die Jugend hat immer schon eine eigene Sprache entwickelt, auch zur Abgrenzung gegenüber den Älteren. Und so ist auch die SMS eine Etappe, in der Jugend eine eigene Schriftsprache benutzt. SMS ist sicherlich kein Katalysator, dass man besser schreibt, aber die Ursachen dafür, dass Sprache verkümmern kann, liegen nicht in diesem Medium. Es gibt sogar Experimente, in denen man Schreibschwachen mittels SMS auf die Sprünge geholfen hat.

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