Süddeutsche Zeitung

Skandinavien:Lukrative Ausbeutung

In Oslo und Stockholm hat das Verbot von käuflichem Sex die Situation der Prostituierten nicht verbessert. Obwohl nur die Freier Strafe zahlen müssen.

Gerhard Fischer

Janni hat bisher mit etwa 50.000 Männern geschlafen. Sie begann damit, als sie 13 war, ihr Dorf bei Lillehammer verlassen hatte und per Anhalter nach Oslo getürmt war. Heute ist sie 63 Jahre alt, hat blondierte Haare und ist so gekleidet, dass man ihre großen Brüste nicht nur erahnen kann. Das Verbot für Freier, das seit 1. Januar 2009 nun auch in Norwegen gilt, hält sie für ein "dummes" Gesetz. "Es geht um meinen Arbeitsplatz - wer denkt daran?"

Das Gesetz schreibt vor, dass Norweger bestraft werden, wenn sie zu einer Prostituierten gehen - in der Heimat und auch im Ausland. Die Strafe lag anfangs bei 9000 Kronen, im November wurde sie nun auf 25000 erhöht, das sind etwa 3000 Euro. Bisher sind in Norwegen etwa 100 Männer erwischt worden, fast alle in Oslo. Die meisten zahlten anstandslos - wohl auch deshalb, weil sie verhindern wollten, dass die Polizei einen Brief in ihre Firma schickt. Oder nach Hause zur Familie.

Prostitutionsverbot in Schweden seit 1999

Es war Schweden, das 1999 als erstes Land der westlichen Welt den Kauf von Sex zu einem Straftatbestand gemacht hat. Auch dort bekommen Freier - je nach Einkommen - eine Geldstrafe von etwa 1000 Euro aufgebrummt oder müssen bis zu sechs Monate ins Gefängnis. Prostituierte werden nicht belangt. Die schwedische Regierung hat nun eine Kommission eingesetzt, die untersuchen soll, ob das Gesetz etwas gebracht hat.

Laut Karin Sidenvall, die sich beim Sozialdienst der Stadt Stockholm um Prostituierte kümmert, hat sich die Situation für die Prostituierten eher noch verschlimmert: "Es ist nicht mehr so sehr der Straßenstrich, die Prostitution wird jetzt viel übers Internet und über Mobiltelefone abgewickelt. So arbeiten kriminelle Organisationen heute zum Teil, und dadurch gibt es jetzt mehr ausländische Prostituierte: aus Russland, Rumänien, Estland, Lettland und Litauen." Zudem habe die Polizei meist andere Sorgen, als auf Freierjagd zu gehen. "Als Resümee muss man nach zehn Jahren sagen: Es hat sich nicht viel geändert."

In Norwegen gab es für das nun ein Jahr alte Gesetz seinerzeit einen aktuellen Anlass: In der Bevölkerung nahm der Ärger über nigerianische Prostituierte zu, die in Oslos Prachtstraße Karl Johans Gade angeblich ungeniert norwegische Männer bedrängten - selbst wenn diese mit ihren Frauen und Kindern unterwegs gewesen sind. Das mit den Nigerianerinnen sei schon kurios, sagt die norwegische Prostituierte Janni.

In Gruppen seien die Frauen nach Oslo geschleust worden - und alle sahen irgendwie gleich aus. "Die Menschenhändler, die sie nach Oslo brachten, wollten erst mal testen, was norwegische Männer bevorzugen: Erst haben sie nur dicke Frauen hierher gebracht, dann welche, die hochgewachsen und schlank sind." Und so kam es vor, dass nachts in der Karl Johans Gade 150 nigerianische Prostituierte standen. Das störte viele Geschäftsleute und Bürger. Es entstand Druck auf die Politiker. "Sonst wäre das Gesetz nicht gekommen", glaubt Janni. Etwa 3300 Prostituierte wurden 2008 in Norwegen gezählt, das waren so viele wie nie zuvor.

Sprach- und Computerkurse für den Ausstieg

Liv Jessen ist Leiterin von ProSentret, einer kommunalen Organisation in Oslo, die sich um Prostituierte kümmert. ProSentret bietet zum Beispiel Sprach- und Computerkurse an, um den Prostituierten den Absprung in ein bürgerliches Leben zu ermöglichen. Knapp zehn Prozent der Frauen, mit denen ProSentret zu tun hat, nehmen die Angebote an; auch denen, die Prostituierte bleiben wollen, wird geholfen: beim Papierkram etwa, oder bei der Suche nach einer Wohnung. Oder bei psychischen Problemen.

Jessen sagt, dass die Straßenprostitution nach dem Verbot für Freier stark zurückgegangen sei. Die meisten nigerianischen Prostituierten seien nach Einführung des Gesetzes im Januar zunächst verschwunden. Sie seien wohl nach Dänemark, Deutschland, Holland oder Frankreich ausgewichen. "Doch unsere Regierung hat leider nichts gegen die Ursachen der Prostitution unternommen, wir haben die Frauen lediglich abgeschoben", meint Jessen.

Einige Prostituierte haben sich in Wohnungen zurückgezogen. Sie suchen Kontakt im Internet, sitzen am Telefon, versuchen sich einen festen Kundenstamm aufzubauen. Anzeigen in Zeitschriften zu schalten, ist nicht mehr erlaubt, wird aber weiterhin gemacht. Bisher hat die Polizei nichts dagegen unternommen. Die Prostituierten empfangen ihre Freier im Hotel oder zu Hause. Allerdings ist es seit dem 1. Januar auch verboten, Wohnungen an Prostituierte zu vermieten.

Verlagerung in die Seitenstraßen

Auf der Karl Johans Gade sind an diesem Donnerstagabend viele Menschen unterwegs: Leute, die ins Kino gehen, Geschäftemacher, die in Restaurants sitzen und plaudern, Jugendliche, die lachend über die Straße laufen. Aber nirgendwo sieht man Prostituierte. Wer auf die Straße geht, tut das nicht mehr auf der Karl Johans Gade, sondern in Seitenstraßen. "Beide Seiten, Freier und Prostituierte, sind vorsichtiger und nervöser geworden", sagt die Prostituierte Janni. Bei ihr laufe das Geschäft aber noch sehr gut. Janni bietet ihre Dienste auch im Auto an, und als sie einen Freier im Wagen hatte und die Polizei die beiden ansprach, antwortete sie: "Wir wärmen uns nur gegenseitig." Manchmal sagt sie auch: "Das ist ein Freund von mir."

Bisher sei sie damit durchgekommen. Für andere gilt das wohl auch: Die aktuellen Zahlen besagen zwar, dass die Straßenprostitution in Norwegen gegenüber dem Rekordjahr 2008 um 30 Prozent gesunken ist; aber sie hat im Dezember 2009 schon wieder das Niveau von 2007 erreicht. Auch einige Nigerianerinnen sind wieder nach Norwegen zurückgekehrt.

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SZ vom 29.12.2009/abis
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