Skandale in der Landwirtschaft:Das kranke System

Abscheulichkeiten wie der Dioxin-Skandal werden durch das System der industriellen Landwirtschaft begünstigt, in das die EU jährlich 60 Milliarden Euro pumpt. Doch auch Verbraucher schüren die Sucht nach stets steigenden Erträgen.

Martin Kotynek

Die Krankheit hat sich ganz allmählich eingeschlichen, seit Jahren schon schwächt sie den Patienten. Ihre Symptome sind widerlich: Pestizide und Hormone im Essen, Gammelfleisch, Ekelkäse, Geflügelpest. Und auch der jüngste Fall von Dioxin in Eiern und Fleisch ist ein deutliches Zeichen, dass sich die Erkrankung weiter ausbreitet.

Huehnereier

Abscheulichkeiten wie der Dioxin-Skandal werden von der industriellen Landwirtschaft begünstigt . Dennoch pumpt die EU jährlich 60 Milliarden Euro in dieses kranke System.

(Foto: dapd)

Die Krankheit heißt "industrielle Landwirtschaft", und seitdem sie die Lebensmittelproduktion befallen hat, wütet sie schrecklich: Fast die Hälfte der deutschen Bauernhöfe wurde seit den 1980er-Jahren dahingerafft. Sie mussten aufgeben, weil sie dem Druck nicht standhalten konnten, immer mehr Nahrungsmittel zu immer niedrigeren Preisen zu erzeugen. Die verbliebenen Bauern auf ihren Höfe haben sich nicht selten dem Druck gebeugt und sich auf eine intensivere, überwiegend am Ertrag orientierte Landwirtschaft eingelassen.

Die Förderungspolitik der EU führt in eine Sackgasse

Höfe werden zu Agrarfabriken umgerüstet, Hochleistungskühe werden zu Hunderten in ihre Ställe gedrängt, Hähnchen wachsen unter teils qualvollen Bedingungen binnen 31 Tagen zur Schlachtreife heran. Um die Milchflüsse und Fleischströme vor dem Versiegen zu bewahren, reicht das Futter vom eigenen Hof längst nicht mehr aus, zu teuer ist es obendrein. So hat die Sucht nach stets steigenden Erträgen die Landwirtschaft abhängig gemacht von billigen Futtermitteln, die zugekauft werden müssen.

Dass ein solches krankes System Abscheulichkeiten wie den Dioxin-Skandal begünstigt, ist wenig verwunderlich. Seltsam ist vielmehr, dass Europas Agrarpolitiker die intensive Landwirtschaft allen Skandalen zum Trotz - Gammelkäse aus italienischen Molkereien, Dioxin- Fleisch aus Irland, Antibiotika in holländischem Kalbfleisch - zu immer neuen Höchstleistungen streben lassen.

Denn Zukunft hat diese Landwirtschaft nicht, wie ein Krebsgeschwür vernichtet sie allmählich ihre eigene Lebensgrundlage: Die industrielle Landwirtschaft verseucht das Grundwasser mit Nitraten, zerstört fruchtbare Böden, beschleunigt das Artensterben und trägt massiv zum Klimawandel bei. Wird dagegen nichts unternommen, werden eines Tages die Schäden an der Umwelt irreparabel sein, und der Boden wird nicht mehr genug Nahrung hervorbringen, um künftige Generationen zu ernähren.

Dennoch pumpt die Europäische Union jährlich 60 Milliarden Euro in dieses System - das ist fast die Hälfte des gesamten EU-Budgets. Zwar müssten ohne die gemeinsame europäische Förderpolitik noch viel mehr Betriebe aufgeben, denn mit den niedrigen Weltmarktpreisen können deutsche Bauern nicht konkurrieren. Doch weil sich die EU mit ihrer Förderpolitik bisher an Hektarzahlen und am Ertrag orientiert und den Großteil ihrer Subventionen damit an Großbetriebe verteilt, begünstigt sie die Massenproduktion und führt damit in eine Sackgasse.

Die Verantwortung der Verbraucher

Vor kurzem hat sich Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gemeinsam mit der Agrarlobby dafür eingesetzt, an diesem ungerechten Fördermechanismus möglichst nichts zu ändern. Mittlerweile hat man im Brüssel aber umgedacht. Von 2013 an will die EU-Kommission den Weg hin zu einer ökologischeren Landwirtschaft einschlagen. Bei der Reform der Agrarpolitik sollte sich daher auch Ministerin Aigner dafür einsetzen, dass jene Bauern mit Fördergeld belohnt werden, die umweltfreundlich arbeiten.

Zwar ist eine kleinteiligere, ökologischere Landwirtschaft kein Allheilmittel für Lebensmittelskandale aller Art. Dioxine wurden in der Vergangenheit auch schon in Bio-Eiern gefunden. Auch wird die Heilung der Landwirtschaft von ihrer Sucht nach ständiger Ertragssteigerung schmerzhafte Änderungen in der Struktur der Höfe nötig machen. Doch statt Lebensgrundlagen zu zerstören, erhöht eine ökologischere Landwirtschaft die Fruchtbarkeit der Böden, bindet Treibhausgase, bewahrt die Kulturlandschaft - und ist Studien zufolge auch dazu fähig, den steigenden Nahrungsbedarf der Menschen zu decken.

Vorteile, die man schmecken kann

Anders als bei Massenbetrieben schaffen regional ausgerichtete Strukturen Arbeitsplätze auf dem Land. Und wenn Tiere wieder vermehrt dort gehalten werden, wo ihr Futter wächst, sind die Bauern auch weniger davon abhängig, Futtermittel zuzukaufen. Damit steigt die Qualität der Nahrungsmittel - ein Vorteil, den man auch schmecken kann.

Doch nicht nur Politiker und Bauern müssen umdenken, auch die Verbraucher sind betroffen. In kaum einem anderen europäischen Land ist den Menschen ihr Essen so wenig wert wie in Deutschland. Das Preisniveau von Lebensmitteln ist so niedrig, dass die Landwirtschaft sogar als Inflationsbremse wirkt. Das ist beschämend - und eine Voraussetzung dafür, dass sich viele Landwirte dazu gezwungen sehen, immer billiger zu produzieren.

Da ist es scheinheilig, die fatalen Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft auf die Umwelt so lange zu verdrängen, bis sie durch einen Lebensmittelskandal direkt den Menschen betreffen. Und es reicht nicht aus, reflexartig nach schärferen Kontrollen zu rufen, wenn es bereits zu spät ist. Vielmehr sollten sich auch die Verbraucher fragen, welchen Beitrag sie leisten werden, um die Landwirtschaft von ihrer Krankheit zu heilen.

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