Skandal in Frankreich:Höllenfahrt eines Star-Polizisten

Er diente als Vorbild für einen Polizisten in einem Gangsterfilm, wurde für seine Ermittlungserfolge mit der Mitgliedschaft in der französischen Ehrenlegion ausgezeichnet: Doch nun steht der Kriminaldirektor Michel Neyret in Verdacht, die Seiten gewechselt zu haben.

Stefan Ulrich, Paris

Manchmal spielt das Leben Kino, zum Beispiel im Fall des Kriminaldirektors Michel Neyret. Der 55 Jahre alte Vizechef der Kripo von Lyon dient als Vorbild für einen Polizisten in dem Gangsterfilm Les Lyonnais, der im November in die französischen Kinos kommt. Neyret eignet sich wirklich gut für eine Heldenrolle. Mehr als drei Jahrzehnte lang hat er Banditen gejagt und dabei spektakuläre Erfolge erzielt.

File photo of Michel Neyret

Er diente als Vorbild für einen Polizisten in einem Gangsterfilm - doch nun steht Michel Neyret, der Vizechef der Kripo von Lyon, selbst im Verdacht, kriminell geworden zu sein.

(Foto: Reuters)

Nur das bislang letzte Kapitel in der Karriere Neyrets scheint nicht zu diesem Leben zu passen. Vor einigen Tagen rückten Polizisten um sechs Uhr früh vor dem Haus des Kripo-Direktors an und nahmen ihn fest. Die Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Vereinigung, Drogenhandel, Korruption. Diese Woche wurde der Verdächtige in Untersuchungshaft gesteckt. Die Höllenfahrt des Star-Polizisten hat begonnen.

"Trauma für die nationale Polizei"

Dies ist ein Schock für die ganze Kriminalpolizei", sagt der Chef der französischen Kripo, Christian Lothion. Neyret sei "nicht mehr mein Freund und nicht mehr Polizist". Innenminister Claude Guéant bezeichnet die Affäre als "Trauma für die nationale Polizei".

Das Entsetzen ist so groß, weil Neyret als "super flic" galt, als schneidiger Ausnahmepolizist, ja als Legende, wie Kollegen schwärmen. Mit Künstlerfrisur und Dreitagebart, schicken Sakkos, weit offenem Hemd und Goldkettchen am Handgelenk wirkte Neyret wie ein Dandy. Die Franzosen konnten ihn bewundern, wenn er im Fernsehen seine Schläge gegen die Rauschgiftmafia erklärte. Zuletzt widmete ihm der Sender M6 einen Beitrag, um den Kampf gegen das Banditentum zu illustrieren. Und nun soll Neyret selbst zum Ganoven geworden sein?

Schlimmer noch: Auch gegen weitere hohe Beamte aus Lyon und Grenoble wird ermittelt. Sie sollen Neyret bei seinen Fehltritten gefolgt sein. Eine Sondereinheit der Polizei kam den Machenschaften auf die Spur, als sie eine Drogenbande abhörte. Wie weit sich der Skandal ausbreitet, ist nicht abzusehen. Neyret beteuert seine Unschuld, räumt aber "einige Unvorsichtigkeiten" ein.

Was aus den Ermittlungen durchsickert, scheint schwerer zu wiegen. Demnach steht der Kripo-Direktor im Verdacht, er habe sich von zwielichtigen Typen eine goldene Uhr und teure Reisen spendieren lassen. Auch habe er sich von einem Ganoven Luxusautos wie einen Ferrari geliehen, mit denen er die Côte d'Azur entlang brauste. Vor allem aber soll er beschlagnahmte Drogen abgezweigt und an Kriminelle weitergegeben haben. Die Frage ist nun: Tat er das, um Informanten zu entlohnen, oder, um sich selbst Geld und andere Vorteile zu verschaffen?

"Er liebte das Partyleben"

Kollegen vermuten, Neyret sei seinem Drang zum mondänen Leben erlegen. "Er liebte das Partyleben", sagt Lothion. Manche Ganoven hätten wohl seine Vorliebe "für Feste und alles was glänzt" ausgenutzt. Doch Lothion sagt auch, sein früherer Kollege sei "einer der besten Polizisten seiner Generation" gewesen.

Neyret galt als Mann der Tat, als Kriminaler der alten Schule, der auch noch als Direktor lieber ins Milieu eintauchte, als nur am Bildschirm zu arbeiten. Er durchstreifte Bars und Nachtlokale, er hielt enge Kontakte mit Informanten aus der Verbrecherszene. "Es machte ihm Spaß, die Ganoven zu jagen, so wie es einem Jäger Spaß macht, dem Wild nachzustellen", sagt einer seiner Ex-Kollegen.

Womöglich ist ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen

Dabei scheint Neyret an die Grenzen des Erlaubten gegangen zu sein und womöglich weit darüber hinaus. Offenbar freundete er sich mit Männern der Unterwelt an, ließ sich mit ihnen fotografieren, fuhr mit ihnen in Urlaub. Das alles fiel lange nicht auf, denn er hatte Erfolg. Er schnappte Räuber, Terroristen, Drogenkuriere. Dank seiner Informanten wusste er oft genau, auf welcher Route die "go fast" - die Drogenkuriere aus Südspanien - zu fassen waren.

Berühmt wurde er, als er 2003 vier der meistgesuchten Verbrecher Frankreichs schnappte, darunter den "Boss von Toulon". Polizisten stellten die schwer bewaffneten Gangster in einem einsamen Haus in der Provence. Neyret führte den Sturm auf den Unterschlupf persönlich an. Für seinen Einsatz wurde er später mit der Mitgliedschaft in der Ehrenlegion ausgezeichnet.

Womöglich ist ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen, womöglich konnte er Informanten-Pflege nicht mehr von Kumpanei unterscheiden. Falls Neyret seine "Amigos", wie er sie nannte, mit Drogen entlohnte, so wäre dies illegal. Falls er selbst am Rauschgift verdiente, dann wäre das ein Verbrechen, das ihm bis zu zehn Jahren Haft einbringen könnte.

Neyrets Freunde aber mögen nicht glauben, dass dieser Vorzeige-Polizist zum Verbrecher geworden sei. Der frühere Kriminalbeamte und heutige Regisseur Olivier Marchal, der den Film Les Lyonnais drehte, sagt, er habe geweint, als er von der Festnahme Neyrets hörte. Es sei doch normal, wenn Polizisten Drogen abzweigten, um Informanten zu belohnen. Früher hätten das alle so gemacht.

Womöglich geht es noch um anderes als um Drogen. Am Mittwoch meldete sich ein Anwalt des Geldtransport-Fahrers Toni Musulin zu Wort, der 2009 mit 11,5 Millionen Euro durchgebrannt war. Zu den Beamten, die ihn schnappten, gehörte Neyret. Von der Beute fehlen bis heute 2,5 Millionen Euro. Bislang wurde vermutet, Musulin habe das Geld versteckt. Im Lichte des Lyoner Skandals fordert der Anwalt jetzt, noch einmal nachzuforschen, wo das Geld geblieben sei.

Sollte Neyret ...? Für einen glaubwürdigen Film wäre das eine Wendung zu viel. Im wahren Leben aber werden die Ermittler wohl auch diesem Verdacht nachgehen müssen.

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