Süddeutsche Zeitung

Singapur:"Wenn ich dich riech', fühl ich mich elend"

Lesezeit: 2 min

Von Arne Perras, Singapur

Am Wochenende werden Formel-Eins-Fahrer über den Stadtkurs von Singapur rasen. Der Grand Prix besteht zu 70 Prozent aus sonst öffentlichen Straßen. Das heißt: Die Formel-Eins-Fahrer werden ihre Runden auch so drehen, wie die Singapurer durch den Verkehr ihrer Stadt fahren: Im "Haze". So nennen die Singapurer die giftigen Rauchwolken, die der Wind von Indonesien her über die Straße von Malakka über den Ozean in ihre Metropole treibt.

Der Haze hüllt die Türme aus Glas und Stahl in graue Schwaden. Wer vor die Tür tritt, kann sich beißendem Gestank nicht entziehen, nach ein paar Sekunden brennt es in Nase und Augen. Durchzuatmen gelingt kaum, nach einer halben Stunde schmerzt der Kopf.

Auf den indonesischen Tropeninseln Sumatra und Borneo brennen Wälder, das geht jedes Jahr so, doch anhaltende Trockenheit verschärft den Haze in diesen Wochen. Und die Reaktionen Singapurer schwanken nun zwischen fatalistischem Gleichmut, Gefühlen der Ohnmacht, wachsender Sorge um ihre Lungen bis hin zu sarkastischen musikalischen Einlagen, mit denen sie das Umweltdesaster in Südostasien untermalen und kommentieren.

In den sozialen Medien kursiert mal wieder der "Haze Song", ihm liegen die schmachtenden Stimmen der Everly Brothers zugrunde, deren Hit "Dream" von 1958 ist ein wahrer Ohrwurm, man summt ihn gerne mit, und nun verbreitet er sich über das Internet als parodistischer Clip: "Haze, Haze Haze, wenn ich dich riech', fühl ich mich 'cham'"... (bedeutet in der südchinesischen Sprache Hokkien so viel wie "elend"). Die Stimme säuselt weiter zur schrubbenden Gitarre: "Ich hust' so viel, dass ich bald sterben könnt'." Unterlegt ist das mit Szenen der verhüllten Stadt, das Wahrzeichen Marina Bay Sands Hotel umwabert vom dichten Dunst.

Erstmals tauchte das Lied im Jahr 2013 auf, sein periodischer Erfolg ist eng an den so genannten PSI-Wert gebunden, den die Singapurer in Apps stündlich abrufen, um zu sehen, ob man sich noch aus dem Haus wagen darf oder nicht. Am Mittwoch stieg er bereits auf über 130 und lag damit im ungesunden Bereich. Noch schlimmer trifft es derzeit den nördlichen Nachbarn Malaysia, wo bereits mehr als 1000 Schulen geschlossen wurden.

2719 Feuerherde auf Sumatra und Borneo

Wer sich die Geräte leisten kann, wirft nun Luftfilter in der Wohnung an, sie surren Tag und Nacht, und wer zum Masochismus neigt, holt sich das zugehörige Lied aus dem Netz. "Haze, haze haze, wenn ich dich riech'." Die Flammen in Indonesien lodern unterdessen weiter durch die Wälder, auf Sumatra sterben Bauern und Feuerwehrleute, Präsident Joko Widodo hat 6000 Soldaten entsandt, er besichtigt die verkohlten Reste des Regenwaldes und sagt: "Wir haben alles versucht".

2719 Feuerherde wurden am Mittwoch auf den Inseln Sumatra und Borneo registriert, fast dreimal so viele wie noch im August. Häufig brennen Torfböden, die schwer zu löschen sind. Erst wenn wieder viel Regen fällt, dürfte dies die Brände reduzieren.

Wie dicht der Dunst beim Nachtrennen der Formel Eins sein wird, weiß man noch nicht, aber für die Zuschauer wird schon mal vorgesorgt: Sie bekommen Atemmasken, wenn sie sich auf den Tribünen nicht wohlfühlen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Rennfahrer ausreichende Sicht haben, wenn sie um die Kurven rasen.

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