Satire, so definierte es der österreichische Kabarettist Werner Schneyder einmal, sei nicht etwa der Feind der heilen Welt, sondern „die Forderung danach“. Tatsächlich braucht Satire viel Fingerspitzengefühl. Und Moral.
Die Münchner Satirezeitschrift Simplicissimus, die vor genau 80 Jahren zum letzten Mal erschien, pflegte eher den bayerisch-derben Humor. In Kaiserzeit und Weimarer Republik galt es schließlich abzurechnen, mit Militaristen, Spießbürgern, Kirchen und Beamten, Juristen und Geschäftemachern. Ein schmaler Grat, den das ebenfalls im Jahr 1896 gegründete Konkurrenzblatt Jugend eher scheute, der Simplicissimus aber in 2577 Ausgaben auf 33 808 Seiten wagte. Die Spaßgrenzen wurden damals eng gezogen: Nach Heft Nummer 31, welches sich über die Pilgerreise des deutschen Kaisers Wilhelm II. nach Palästina lustig machte, verschwand Gründer und Herausgeber Albert Langen jahrelang ins Exil und zahlte schließlich 30 000 Mark Strafe, um wieder zurückkehren zu dürfen. Simplicissimus-Zeichner Thomas Theodor Heine und Autor Frank Wedekind wiederum wurden wegen „Majestätsbeleidigung“ zu Haftstrafen verurteilt. Ähnlich widerfuhr es im Jahr 1906 Herausgeber Ludwig Thoma – nach einer lyrischen Verhohnepiepelung der Kölner Geistlichkeit.
Doch solche „Skandale“ steigerten nur die Popularität des Blattes. Einige Zeit konnte der Simplicissimus, in dem auch Texte von Thomas und Heinrich Mann, Hermann Hesse, Arthur Schnitzler und Joachim Ringelnatz erschienen sowie Illustrationen von George Grosz, Heinrich Zille, Käthe Kollwitz und natürlich Olaf Gulbransson, von sich behaupten, gegen Populismus und Extremismus einzutreten. Nach Hitlers Machtübernahme ab 1933 aber arrangierte man sich mit dem Faschismus und zielte fortan auf jene ab, auf die es auch die Nazis abgesehen hatten. Von da an war Satire selbst beim Simplicissimus nur noch der Deckmantel zur Verbreitung mörderischer Propaganda. Kurz vor Untergang des nationalsozialistischen Deutschland wurde die Zeitschrift am 13. September 1944 infolge kriegsbedingten Papiermangels eingestellt, spätere Wiederbelebungsversuche scheiterten.
In dem Moment, da sich Satire nicht auf die Seite der Opfer schlägt, beraubt sie sich ihrer Legitimation. Das konnte man zuletzt auch wieder bei dem verunglückten Paralympics-Witz eines TV-Moderators sehen oder bei einem deutschen Internet-Spaßmacher, der nach den Schüssen auf Donald Trump befand: „Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.“ Opfer-Humor ist nie guter Humor. Der Düsseldorfer Karnevalist Jacques Tilly hingegen bekam kürzlich den NRW-Verdienstorden verliehen. Er wurde dafür gelobt, dass er für menschliche Werte eintritt, gegen Hochmut und Ignoranz: Putin sitzt in einem von Tillys Motivwagen lächelnd in einer Badewanne voller Blut, Banker greifen gierig nach Boni, Taliban werden von den von ihnen Geköpften in den Hintern gebissen.
Der Simplicissimus hat diese Kurve in seinen späteren Jahren nicht mehr geschafft. Er hat sich mit einem menschenverachtenden Regime gemein gemacht – und so die hohe Kunst der Satire verraten.