Terror:Befreite Geisel von Rechten beschimpft

In Afrika entführte Italienerin nach 18 Monaten wieder frei

Silvia Romano bei ihrer Ankunft in Rom: Für ein kurzes Lächeln zieht sie die Maske zurück.

(Foto: Paolo Santalucia/dpa)

Silvia Romano kehrt nach 535 Tagen Gefangenschaft durch die Terrorgruppe al-Shabaab nach Italien zurück. Dort schlägt ihr erst Freude entgegen, dann Hass. Denn als Geisel ist sie konvertiert.

Von Oliver Meiler, Rom

Silvia Romano ist erst 24 Jahre alt, und das sollte man bei dieser bewegenden Geschichte nie vergessen. 535 Tage hat die junge Mailänderin in Geiselhaft in Afrika verbracht, in den Händen von al-Shabaab, einer somalischen Terrorgruppe aus dem Dunstkreis von al-Qaida. Als sie nun nach ihrer Befreiung in einem Flugzeug des italienischen Staates zurück in die Heimat gebracht wurde, stand die halbe Regierung im Terminal von Rom Ciampino. Silvia Romano stieg aus der Maschine, eingehüllt in ein grünes Gewand aus somalischer Tradition, mit bedecktem Haupt, und lächelte. In die Fernsehkameras sagte sie: "Mir geht es gut, körperlich und psychisch."

Ihre Eltern ließen später ausrichten, man sehe es ihrer Tochter nur nicht so gut an: Sie sei in Wahrheit sehr müde und erschüttert. Für Italien war ihre Befreiung die beste Nachricht der letzten Monate, ein Lächeln in Zeiten von Corona.

Doch lange hielt die Freude nicht an. Romano ist über die vergangenen Tage zum Opfer einer üblen Hasskampagne geworden, befeuert in den sozialen Medien und in der rechten Presse. "Schlamm und Kotze", so beschreibt La Repubblica den Fluss an Unsäglichkeiten, der sich da über sie ergoss. Manche Drohungen gegen die junge Frau sind so explizit, dass die Polizei den Palazzo an der Via Casoretto in der Mailänder Peripherie, wo die Familie lebt, nun unter Schutz stellen ließ.

In Geiselhaft zum Islam konvertiert

Kaum war sie gelandet, wurde Romano einige Stunden lang von der Staatsanwaltschaft befragt. Sie sollte erzählen, wie es genau war in der Geiselhaft. Die italienischen Zeitungen erfuhren einige Fetzen daraus und zitierten sie. Romano erzählte demnach, dass sie am 20. November 2018 in Chakama, einem Dorf im Südosten Kenias, von einer Bande Kleinkrimineller entführt worden war. Sie hatte dort als Helferin der italienischen Organisation Africa Milele an einer Schule für Kleinkinder gearbeitet - ohne Schutz, die einzige Weiße weit und breit.

Die Kleinkriminellen hätten Romano, so wird sie zitiert, kurz darauf an acht Männer von al-Shabaab übergeben, die über zwei Motorräder und einen Wagen verfügten. Offenbar hatte das Kommando einen Deal mit der Terrorgruppe geschlossen. Die Al-Shabaab-Gruppe habe sie nach Somalia gebracht, durch Wälder und Flüsse, oft mussten sie einen Teil des Weges zu Fuß gehen.

Als sie an Malaria erkrankte, hätten ihre Entführer sie umsorgt, ihr auch immer genug zu essen gegeben. Die Gesichter ihrer Kidnapper habe sie nie gesehen, da sie immer Masken trugen. Sie hätten zu ihr gesagt: Wenn du nicht versuchst zu fliehen, geschieht dir nichts. So erzählt es Romano. Als sie um Bücher bat, habe man ihr auch den Koran gegeben, sie habe ihn auf Italienisch gelesen, sei zum Islam konvertiert und habe sich fortan Aisha genannt. "Spontan, ohne gezwungen zu werden", wie sie nach ihrer Rückkehr versicherte.

Italien hat offenbar ein Lösegeld bezahlt

Früh war klar, dass die Terroristen ein Lösegeld für die ausländische Geisel erpressen wollten. Das ist ihr Geschäft, damit finanzieren sie einen Teil ihrer Aktionen. In Italien hörte man monatelang nichts von Romano, die Medien begingen den Jahrestag der Entführung, und niemand schien mehr daran zu glauben, dass das Drama gut enden könnte. Dann, vor einigen Monaten, setzten im Geheimen die Verhandlungen ein. Wie die Übergabe genau vonstatten ging, ist nicht bekannt. Doch Italien hat ein Lösegeld bezahlt, davon sind alle überzeugt. Zwei Millionen, vielleicht vier Millionen Euro. Italien zahlt fast immer für die Freilassung von Geiseln, das hat sich herumgesprochen.

Als Romano gelandet war in Rom, war das aber noch kein Thema. Sogar Matteo Salvini, der Oppositionschef der rechten Lega, war von der Befreiung ganz angetan. Doch als dann bekannt wurde, dass Silvia Romano in der Haft Muslimin geworden ist, kippte die Stimmung ganz schnell. Die rechte Zeitung Libero titelte: "Wir haben eine Muslimin befreit." - Il Giornale: "Muslimisch und glücklich: Die undankbare Silvia." Im Netz zirkulierten schnell falsche Gerüchte: Sie sei zwangsverheiratet worden, sie sei schwanger. Romano dementierte, aber das brachte nichts. Psychologen gaben zu bedenken, dass sie wahrscheinlich aus Selbstschutz konvertiert sei, dass das oft vorkomme, und dass man den Fall dann analysieren müsse. Und nochmal: Silvia Romano ist 24.

Als Salvini merkte, dass ein Teil seiner Wählerschaft empfänglich war für "Schlamm und Kotze", brachte er polemisch die Frage des Lösegeldes ins Spiel. Man helfe damit den Terroristen, sagte er. Doch was wäre die Alternative gewesen? Die junge Frau sterben lassen? Die Freude erstickte im Hass. Silvia Romano ist wieder daheim, sie hat al-Shabaab überlebt. Vor ihrem Haus steht jetzt die Polizei, die sie vor den Hassern schützen soll.

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