Silvesternacht:Wenn die Retter sich selbst retten müssen

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Feuerwehrmänner löschen an der Sonnenallee einen Reisebus, der von Unbekannten angezündet worden war. (Foto: Paul Zinken/dpa)

In Berlin berichten Feuerwehr und Polizei von überraschend vielen Angriffen auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht. Die Debatte um ein Böllerverbot nimmt erneut Fahrt auf.

Die Berliner Feuerwehr arbeitete die Abgründe der Nacht am Sonntagmorgen in einer Pressemitteilung fein säuberlich in Stichpunkten auf. Überrascht sei man gewesen von der "Masse und der Intensität der Angriffe" auf Einsatzkräfte in der Silvesternacht. Von ins Gesicht gehaltenen Schreckschusspistolen ist zu lesen, von Augenverletzungen "durch Pfefferspray und stumpfe Gewalteinwirkung gegen eine Einsatzkraft", von geworfenen Bierkisten und vom "gezielten Beschuss mit Pyrotechnik". Einsatzkräfte seien mit Barrikaden behindert, Löschfahrzeuge geplündert und beschädigt worden. 15 Feuerwehrleute wurden verletzt.

Zu mehr als 1700 Einsätzen musste die Berliner Feuerwehr zum Jahreswechsel nach eigenen Angaben ausrücken - fast 700 mehr als vor einem Jahr während der Corona-Beschränkungen. Von Knallern und Raketen wurden 22 Menschen verletzt. In 38 Fällen seien Einsatzkräfte angegriffen worden, einer der verletzten Retter musste ins Krankenhaus: "Dieses Verhalten ist durch nichts zu rechtfertigen und ich kann es nur auf das Schärfste verurteilen", sagte Landesbranddirektor Karsten Homrighausen. Wie die Feuerwehr meldet auch die Berliner Polizei massive Angriffe auf Einsatz- und Rettungskräfte in der Neujahrsnacht. 18 Beamte seien verletzt worden. Die Intensität sei mit den Vorjahren nicht zu vergleichen, hieß es am Sonntag in der vorläufigen Bilanz zur Jahreswende. 103 Menschen wurden festgenommen, darunter 98 Männer und fünf Frauen. Die Polizei ermittle nun nicht nur wegen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte, sondern auch wegen Brandstiftung, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz oder Landfriedensbruchs.

Als Reaktion auf die Angriffe mit Böllern und Raketen forderte die Gewerkschaft der Polizei Berlin am Sonntag ein weitgehendes Böllerverbot. "Wir haben deutschlandweit gesehen, dass Pyrotechnik ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird", sagte GdP-Landeschef Stephan Weh. Das müsse ein Ende haben. Und es dürfe nicht erst wieder im Dezember darüber diskutiert werden. Weh sprach sich für ein Verkaufsverbot aus, das für alle gelten solle, die nicht beruflich und dementsprechend verantwortungsvoll mit Pyrotechnik hantierten. "Viele Baumärkte haben in diesem Jahr bereits klar Stellung bezogen, und auch die Bevölkerung ist dahingehend viel weiter, als man denkt", so Weh.

Reisebus geht in Flammen auf

Die Berliner Feuerwehr hatte es zum Jahreswechsel unter anderem mit 749 Bränden zu tun. In Neukölln ging kurz nach Mitternacht ein Reisebus in Flammen auf. Er stand unter einer Wohngebäudeüberbauung, der Feuerwehr gelang es aber, ein Übergreifen des Feuers zu verhindern. Im Stadtteil Lichtenrade versuchten laut Polizei 60 bis 80 Menschen, ein Fahrzeug mit Feuerwerk anzuzünden. Ebenfalls in Berlin wurden die Scheiben eines Ladens "weggeböllert". Kollegen seien "sprichwörtlich unter Beschuss genommen" worden, twitterte die Polizei.

Schwere Unfälle und Straftaten mit Feuerwerkskörpern haben die Rückkehr des großen Silvesterböllerns nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland überschattet. Ein 17-Jähriger in Leipzig verletzte sich beim Einsatz von Pyrotechnik so schwer, dass er im Krankenhaus starb, wie die Polizei an Neujahr mitteilte. In Sachsen-Anhalt wurde ein Mann beim Böllern auf der Straße von einem Auto erfasst und getötet.

In Thüringen zogen sich zwei Männer während der Silvesternacht durch Feuerwerkskörper schwere Verletzungen zu. Ein 42-Jähriger wurde bei Gotha beim Hantieren mit online bestellten Böllern so schwer verletzt, dass ihm beide Unterarme amputiert werden müssen, wie die Polizei sagte. In Schleiz verlor ein 21-Jähriger bei einem Unfall mit einem Sprengkörper eine Hand. Die illegale Kugelbombe sei direkt beim Entzünden explodiert. Bei Hannover musste ein 46 Jahre alter Mann in der Nacht notoperiert werden. Er hatte einen Böller in eine Metallhülse gelegt, aus dieser wurden bei der Explosion Teile herausgesprengt und umhergeschleudert. Ein Mann aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt zog sich schwere Verletzungen zu. Er habe sich "die linke Hand komplett weggesprengt, da war nichts mehr zu retten", sagte Cord Corterier von der Spezialklinik für Handchirurgie in Halle. Außerdem sei der Mann an der rechten Hand verletzt und habe ein Auge verloren.

Die Liste verletzter Feiernder ließe sich noch lange fortsetzen - was die Debatte um ein Böllerverbot weiter befeuern dürfte. Politiker von Union und FDP wandten sich am Sonntag allerdings sofort gegen ein Verbot. "Die Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte in der Silvesternacht sind geradezu absurd und verachtenswert", sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), der Rheinischen Post. Das Verhalten von Kriminellen dürfe aber nicht bedeuten, "dass auch die vielen friedlich Feiernden einem generellen Feuerwerksverbot unterliegen sollten".

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