"Ja, man verwirkt sein Gastrecht"
Einige der Straftäter von Köln haben nach Ansicht von Kanzlerin Angela Merkel ihr Gastrecht in Deutschland verwirkt. Mit Blick auf die Angriffe auf Frauen und Polizisten in der Silvesternacht sagte Merkel. Sie verstehe, dass es Skepsis gegen immer neue Gesetzesveränderungen gebe. "Aber trotzdem müssen wir doch überlegen: Wann verwirkt jemand sein Gastrecht bei uns?", sagte sie auf dem Jahresempfang der CDU Rheinland-Pfalz in Mainz mit Blick auf das Asylrecht.
Bisher sei dies bei Strafen von mehr als zwei oder drei Jahren der Fall. Wenn sich aber zeige, dass es bei Vorfällen wie in Köln und anderen Städten nicht zu Urteilen in solcher Höhe komme, müsse man sich fragen: "Verwirkt man sein Gastrecht nicht früher? Und ich muss einfach sagen: Ja, man verwirkt sein Gastrecht."
Man müsse darüber nachdenken, ob Gesetze und Rechtsprechung das widerspiegelten, was vom Gesetzgeber gewollt sei. "Es gibt eine neue Situation: Wir müssen neu nachdenken, wie wir der neuen Realität vernünftig Rechnung tragen", sagte Merkel weiter. Die CDU-Spitze will eine Erklärung verabschieden, die eine schnelle Abschiebung ausländischer Straftäter und einen neuen Straftatbestand für Angriffe etwa auf Polizisten fordert.
De Maizière will sich schnell auf Änderungen einigen
Silvester:Nach Übergriffen in Köln: Zwei Männer wieder freigelassen
Der Tatverdacht gegen sie habe sich nicht erhärtet. Das teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) geht von einem raschen Ergebnis seiner Verhandlungen mit Justizminister Heiko Maas (SPD) über Asylrechtsänderungen aus. "Wir haben die Absicht, uns schnell zu einigen", sagte de Maizière am Freitagabend in der ARD vor Beginn der Klausur des CDU-Vorstands. Er wolle einen gemeinsamen Vorschlag mit seinem SPD-Kollegen vorlegen.
Albers in den Ruhestand versetzt
Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers ist am Freitag in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden. Innenminister Ralf Jäger (SPD) habe Albers am Freitagmittag davon in Kenntnis gesetzt. Dieser Schritt sei nötig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und die Handlungsfähigkeit der Kölner Polizei wiederherzustellen. "Die Menschen wollen zurecht wissen, was in dieser Silvesternacht passiert ist, wer die Täter sind und wie solche Vorfälle zukünftig verhindert werden können. Die Kölner Polizei wird ihre Ermittlungsarbeit ungeachtet der heutigen Entscheidung mit voller Intensität fortführen", sagte Jäger.
Dem Polizeipräsidenten wird unter anderem vorgeworfen, die Öffentlichkeit nach den Übergriffen nicht rechtzeitig informiert und Informationen über die Herkunft der Verdächtigen zurückgehalten zu haben. Aus einer Gruppe von 1000 Männern hatten sich in der Silvesternacht kleinere Gruppen gebildet, die Frauen umzingelt, sexuell bedrängt und bestohlen haben sollen. Der Polizeieinsatz war von vielen Seiten scharf kritisiert worden, unter anderem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Informationen über den Einsatzablauf kamen nur stückchenweise ans Licht.
Reker kritisiert Albers scharf
Auch Kölns Oberbürgermeisterin hatte am Freitagnachmittag die Arbeit der Polizei in der Silvesternacht am Hauptbahnhof in einer Stellungnahme, die dem Kölner Stadtanzeiger und der Welt vorliegt, scharf verurteilt. Man habe sie nicht ausreichend informiert. Die Polizei habe bereits seit Tagen "über ein wesentlich differenziertes Bild zur Lage und zur Herkunft von möglichen Tatverdächtigen verfügt, als mir dieses auf meine Nachfragen durch die Kölner Polizeiführung bislang vermittelt worden ist", heißt es darin.
Die Oberbürgermeisterin nennt als Verantwortliche den Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers und die Kölner Polizeiführung. Reker habe sie schon am Dienstag um ein Gespräch gebeten - darin hätte man ihr "offenkundig nicht das vollständige Bild der Einsatznacht" wiedergegeben. Grundlage einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Polizeiführung und der Stadt Köln könne nur eine offene Informationspolitik sein. Anders könne die Zusammenarbeit in einer Millionenstadt nicht funktionieren, so Reker. "Insofern ist mit meiner heutigen Kenntnis das Vertrauensverhältnis zur Kölner Polizeiführung erheblich erschüttert."
Albers zeigt Verständnis - jetzt
Am frühen Freitagnachmittag - noch vor Rekers Stellungnahme - hatte der Polizeipräsident eine Pressemitteilung veröffentlichen lassen. Darin rechtfertigt er sein Vorgehen: "Ich habe stets erklärt, dass die von den Polizistinnen und Polizisten kontrollierten Männer nicht zwangsläufig auch die Täter der schrecklichen Übergriffe sein müssen. Solange die Polizei Menschen keine durch Fakten gestützten Tatvorwürfe machen kann, gilt hier in Deutschland die Unschuldsvermutung", so Albers.
Nach seiner Versetzung in den Ruhestand gab Albers sich verständnisvoll: Die öffentliche Debatte um ihn und sein Verhalten nach den chaotischen Szenen könne die Arbeit der Polizei erschweren und verzögern. "Deshalb verstehe ich die heutige Entscheidung von NRW-Innenminister Ralf Jäger." Er verteidigt die Beamten, die in der Silversternacht am Hauptbahnhof im Dienst waren - sie hätten keine Kritik verdient.
Zwei festgenommene Männer sind derweil wieder freigelassen worden. Der Tatverdacht habe sich nicht erhärtet, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Sie seien nicht dem Haftrichter vorgeführt worden.
Zunächst hatte ein Polizeisprecher der Süddeutschen Zeitung bestätigt, dass bei den 16 und 23 Jahre alten Männern aus Marokko und Tunesien Handys sichergestellt worden seien. Darauf sei Videomaterial mit "einwandfreien Bezügen" zu den Übergriffen in der Silvesternacht gefunden worden. Außerdem sei ein Zettel mit arabisch-deutschen Übersetzungen von sexistischen Begriffen sichergestellt worden.
Kölner Polizei lehnte Verstärkung ab
Außerdem wurde am Freitag bekannt, dass das Kölner Polizeipräsidium während der massenhaften Übergriffe rund um den Hauptbahnhof Verstärkung von der Landespolizei angeboten bekommen hat, diese aber nicht annahm. Ein Sprecher des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW (LZPD) bestätigte, dass Personal aus Aachen, Wuppertal und Gelsenkirchen hätte anrücken können. In den drei Städten habe ein Zug mit jeweils 38 Beamten bereit gestanden. Die Leitstelle in Duisburg habe mit Kölner Verantwortlichen in ständigem Kontakt gestanden.
Der LZPD-Sprecher bestätigte aber auch Medienberichte, wonach die Kölner Polizei in der Planungsphase des Silvestereinsatzes mehr Polizei angefordert hatte als sie schließlich bekam. "Die Kölner Kollegen haben drei Züge angefordert und zwei Züge bekommen. Das war aber immer noch doppelt so viel wie in den vergangenen Jahren an Silvester." Die Eskalation in Köln sei nicht vorhersehbar gewesen, auch sei es Aufgabe des LZPD, die Lage in ganz Nordrhein-Westfalen im Blick zu haben. "Und am Einsatztag selbst hätten die Kölner Kollegen dann eben weitere Kräfte anfordern können."
Zahl der Anzeigen steigt weiter
Bis zum Freitag wurden der Polizei zufolge wegen der Ereignisse in der Silvesternacht in Köln 170 Anzeigen erstattet, drei Viertel davon hätten einen sexuellen Hintergrund.
Die Bundespolizei hat 31 Tatverdächtige identifiziert, darunter 22 Asylbewerber. Wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums in Berlin sagte, handelt es sich bei den festgestellten Delikten überwiegend um Körperverletzungen und Diebstähle. Sexualdelikte seien bisher nicht mit den Asylbewerbern in Verbindung gebracht worden, hieß es. Verdächtige seien in diesen Fällen auch noch nicht ermittelt.
Unter den 31 namentlich bekannten Verdächtigen sind laut Bundespolizei neun algerische, acht marokkanische, fünf iranische, vier syrische, ein irakischer, ein serbischer, ein US-amerikanischer und drei deutsche Staatsangehörige. Der Ministeriumssprecher betonte, es handele sich lediglich um Fälle, die in den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei fielen - also auf dem Bahnhofsgelände und bis zu einer Entfernung von 30 Metern auf dem Vorplatz.
Seite Drei: Köln und die Nachwirkungen:Schock, Schwere, Not
Langsam sickert ins Bewusstsein, dass an Silvester in Köln mehr kaputt gegangen ist als das Vertrauen in die Polizei.
Die Kölner Polizei hat mehr als 20 weitere mutmaßliche Täter identifiziert, gegen die sie ermittelt. Spiegel online zufolge könnten unter ihnen zwei der Polizei bekannte Marokkaner sein. Die beiden 18- bzw. 19-Jährigen sollen demnach bereits als sogenannte "Antänzer", Trickdiebe, aufgefallen sein und wurden in einem Verfahren zu einem Jugendarrest von einer Woche verurteilt.
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