Silvester:"Viele denken nur darüber nach, was sie womöglich verpassen" 

Silvester: Couch oder Party - wenn ja, welche? Hauptsache, man hat auch garantiert den meisten Spaß.

Couch oder Party - wenn ja, welche? Hauptsache, man hat auch garantiert den meisten Spaß.

(Foto: Clark Germany GmbH/obs)

An Silvester werden viele bis zur letzten Minute überlegen, für welche Option sie sich entscheiden - und statt Freude nur Stress empfinden. Ein Experte erklärt, welche Falle man vermeiden sollte.

Von Christina Gutsmiedl

Während der vergangenen beiden Pandemiejahre war Silvester meist eine recht private Veranstaltung. Die Silvestersause war entweder verboten, verpönt oder mit vielen Auflagen versehen. Diesmal liegt der Jahreswechsel wie eine verheißungsvolle Palette der Möglichkeiten vor uns - und damit beginnt auch schon der Stress: Böller, Partys und dazu die Frage, mit wem, wo und wie man den Abend verbringen soll. Hans-Peter Erb forscht an der Universität der Bundeswehr Hamburg unter anderem zum Thema Urteilsbildung und Überzeugung. Als Professor für Sozialpsychologie weiß er, was die Qual der Wahl bei Menschen auslöst. Und warum es oft besser ist, weniger Optionen zu haben.

SZ: Herr Erb, eigentlich macht Feiern doch Spaß. Warum sind manche Leute trotzdem so gestresst vor Silvester?

Hans-Peter Erb: Es gibt zu viele Angebote: Auf welche Party will ich gehen, mit wem möchte ich feiern? Vielleicht doch lieber gemütlich zu Hause bleiben und einfach mal nichts Besonderes machen? Viele Menschen setzt es unter Druck, sich zwischen so vielen unterschiedlichen Möglichkeiten entscheiden zu können - und müssen. Das Phänomen hat mittlerweile einen eigenen Namen: Fomo.

Sie meinen "Fear of missing out", also die Angst, etwas zu verpassen.

Genau. Vor 150 Jahren war das anders. Da gab es vielleicht eine Feier beim Schützenverein im Dorf. Da sind dann alle hingegangen. Oder man blieb zu Hause - das waren die Alternativen.

Klingt nach einem Luxusproblem, dem Luxus zu vieler Optionen. Warum fällt es uns so schwer, diesen Luxus zu genießen?

Wegen der vermeintlichen Verantwortung, die damit einhergeht. Die große Auswahl signalisiert, dass es ein perfekter Abend werden kann - wenn man nur das Richtige tut. Und je größer die Auswahl, desto attraktiver erscheint das Angebot. Zugleich suggeriert es aber auch: Wer eine Entscheidung getroffen hat, verpasst dadurch ziemlich sicher eine andere attraktive Option. Somit denken viele, selbst wenn sie sich entschieden haben, nur darüber nach, was sie womöglich verpassen. Und ob es woanders doch schöner war. Und das Ganze beginnt von vorn.

Jetzt sprechen Sie von Fobo - "Fear of better options", also der Angst, eine bessere Alternative verpasst zu haben.

Richtig. Wenn man am zweiten Januar erfährt, viele meiner Freunde waren auf einer tollen Silvesterparty und ich nicht, dann fühlt man sich ganz schnell ausgeschlossen. Das Gefühl der Zugehörigkeit brauchen alle Menschen. Ausgeschlossen werden tut richtig weh, sogar körperlich. Die Forschung zeigt, dass dabei Hirnregionen angesprochen werden, die körperlichen Schmerz aktivieren.

Warum machen wir es uns selbst so schwer? Schließlich geht es lediglich um einen einzigen Abend, am nächsten Tag ist ohnehin alles vorbei.

Genau das ist ja der Punkt: die Einmaligkeit! Silvester findet nur einmal im Jahr statt. Ich kann also nicht sagen: Diese Woche lief es nicht so gut, ich mache nächste Woche lieber etwas anderes.

Silvester: Prof. Dr. Hans-Peter Erb.

Prof. Dr. Hans-Peter Erb.

(Foto: Ulrike Schröder/HSU)

In den vergangenen Jahren gab es weniger Möglichkeiten zu entscheiden, wie man Silvester verbringt. Manchen sprachen sogar von Jomo - "Joy of missing out", also der Freude, etwas zu verpassen.

Der Punkt ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass andere eine bessere Entscheidungen getroffen haben könnten, war dadurch viel geringer. So verringerte sich auch der Stress.

Haben Sie einen Last-Minute-Tipp, wie Silvester doch noch schön werden kann?

Man kann versuchen, aus der Falle herauskommen, die man sich selbst stellt - indem man sich bei der Auswahl von vorneherein einschränkt. Und damit die vielen Optionen, die sozialen Vergleiche und die Furcht, etwas zu verpassen, reduziert. Danach kann man sich das Wichtigste überlegen: was man eigentlich will. Denn das wird bei alle den viele Entscheidungsmöglichkeiten oft vergessen.

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