Süddeutsche Zeitung

Silvester-Feuerwerk:130 Millionen Euro in einer einzigen Nacht

Was ist gesetzlich erlaubt? Was sind die Gefahren des Böllerns und welche Alternativen gibt es? Die wichtigsten Fragen und Antworten - drei Tage, bevor es wieder losgeht.

Von Oliver Klasen

"Brot statt Böller", hieß es in den Achtzigerjahren. Den Armen helfen, statt Millionen in den Himmel zu schießen, so die Idee. Doch obwohl fast jeder den Slogan kennt, war der Appell nicht besonders erfolgreich. Geböllert, gezündelt und geknallt wurde trotzdem. Vielleicht, weil die Deutschen sich partout nichts verbieten lassen wollten. Vielleicht, weil sie ahnten, dass die Ausbeutung der Dritten Welt sich nicht in 20 Minuten Verzicht aufheben lässt. Und vielleicht auch, weil in der westlichen Welt der Wohlstand so groß ist, dass beides geht: spenden und böllern.

Inzwischen, fast 40 Jahre später, steht das Silvesterfeuerwerk aus anderen Gründen in der Kritik. Kaum etwas erzeugt in so kurzer Zeit derart viel Feinstaubausstoß, argumentieren Umweltschützer. Die Menge, die in einer einzigen Nacht produziert wird, macht 15 Prozent der Emissionen aus, die der Straßenverkehr in einem ganzen Jahr verursacht. Das kann sich eine aufgeklärte Gesellschaft nicht mehr erlauben, sagen Feuerwerksgegner. Erst recht nicht im Greta-Jahr, in dem das Bewusstsein für die klimaschädlichen Folgen unseres Tuns selbst bis zu jenen vorgedrungen ist, die gerne SUV fahren und am liebsten Riesenschnitzel essen.

Die Deutsche Umwelthilfe, die bereits in mehreren Städten Dieselfahrverbote erzwang, hat im Juli und Oktober 98 Städte angeschrieben, in denen die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Feinstaub-Grenzwerte überschritten waren. Ihr Ziel: Böllerverbote, zumindest für die Innenstädte. Tatsächlich schränken viele Kommunen das private Silvester-Feuerwerk ein. Einige Stadtverwaltungen handhaben das schon seit Jahren so, andere ziehen angesichts der aktuellen Diskussion nach.

Was aber ist nun gesetzlich erlaubt? Was sind die Gefahren des Böllerns und welche Alternativen gibt es? Die wichtigsten Fragen und Antworten - drei Tage, bevor es wieder losgeht.

In welchen Städten gibt es dieses Jahr Böllerverbote?

Wer Böller und Raketen als Zumutung empfindet, sollte vielleicht hoch in den Norden fahren. Auf den Nordseeinseln Amrum und Sylt ist privates Feuerwerk zu Silvester komplett verboten. Auf Föhr darf nur am Strand und im Abstand von 200 Metern zu Häusern geböllert werden. Das Verbot dient in erster Linie dem Brandschutz: An der Nordsee stehen häufig Reetdächer, die leicht entflammbar sind. Auch in den Ortschaften auf den Ostsee-Inseln Hiddensee, Rügen und Darß ist das private Silvesterfeuerwerk verboten.

Dutzende weitere Städte und Gemeinden in Deutschland haben Böllerverbote erlassen, die sich meist auf historische Altstädte oder von Polizei und Feuerwehr als besonders kritisch eingeschätzte Plätze erstrecken. Solcherart Feuerwerkseinschränkungen gibt es etwa in: Aachen, Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Berlin, Bielefeld, Braunschweig, Bremen, Dortmund, Duderstadt, Düsseldorf, Erfurt, Esslingen, Freising, Fürth, Goslar, Göttingen, Hamburg, Hameln, Hannover, Ingolstadt, Karlsruhe, Köln, Konstanz, Landshut, Lüneburg, München, Nürnberg, Passau, Potsdam, Regensburg, Rottweil, Stuttgart, Timmendorfer Strand, Villingen-Schwenningen, Weimar, Wiesbaden und Würzburg.

Was ist der Grund für die Böllerverbote?

Mit Umweltaspekten argumentiert kaum eine Kommune. Meist ist der Brandschutz oder die öffentliche Sicherheit der Grund für die Einschränkungen. So ist etwa in Köln das Böllern rund um den Dom bereits seit drei Jahren verboten - eine Reaktion auf die Silvesternacht 2015/2016, in der nicht nur hunderte Frauen sexueller Gewalt ausgesetzt waren, sondern auch massenhaft Passanten und Polizisten mit Feuerwerkskörpern beschossen wurden. Aus demselben Grund darf in Berlin auf der Partymeile am Brandenburger Tor und auf Teilen des Alexanderplatzes kein privates Feuerwerk abgebrannt werden. Auch München, Hannover und Stuttgart argumentieren so. In Hamburg haben die Behörden das Böllerverbot an der Binnenalster via Twitter in fünf Sprachen verkündet - neben Deutsch auch auf Englisch, Türkisch, Russisch und Arabisch. "Wir haben letztes Jahr festgestellt, dass viele junge Menschen mit Migrationshintergrund an die Binnenalster kommen, insofern haben wir uns entschieden, die Informationen in verschiedenen Sprachen bereitszustellen", sagte eine Polizeisprecherin.

Wie stehen die Deutschen zum Böllerverbot?

Wie bei fast allen Schicksalsfragen teilt sich die Menge der etwa 2000 Befragten in zwei große Lager. Das Lager der Verbots-Befürworter ist jedoch größer. Laut einer Repräsentativ-Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov für das Redaktionsnetzwerk Deutschland sind 57 Prozent dafür, Raketen und Knallkörper komplett zu verbannen. 36 Prozent sprechen sich gegen ein Verbot aus, sieben Prozent sind unschlüssig.

Wie sind die gesetzliche Bestimmungen zum Verkauf von Feuerwerk?

Feuerwerk der Kategorie F2 - darunter fallen etwa die typischen Silvesterraketen, Leuchtbatterien, Kracher und Böller - darf in Deutschland nur an den letzten drei Werktagen vor dem Jahreswechsel verkauft werden. Da der 29. Dezember in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, sind Feuerwerksartikel am 28., 30. und 31. Dezember erhältlich. Außerdem gilt ein Mindestalter von 18 Jahren. Feuerwerk der Kategorie F1, also zum Beispiel Knallerbsen oder Wunderkerzen, sind das ganze Jahr über erhältlich und dürfen auch an Kinder, die mindestens zwölf Jahre alt sind, abgegeben werden.

Wie steht der Einzelhandel zu möglichen Böllerverboten?

Für Lebensmittel- oder Baumärkte, wo das Feuerwerk häufig gekauft wird, ist Silvester durchaus ein gutes Geschäft. Etwa 133 Millionen Euro haben die Menschen hierzulande im vergangenen Jahr für das private Feuerwerk ausgegeben. In den vergangenen fünf Jahren sind die Umsätze dabei in etwa gleich geblieben. Ob sich die durch die Fridays-for-Future-Bewegung zunehmende Sensibilität in Umweltfragen auf die Umsätze mit Feuerwerksartikel auswirkt, ist schwer vorauszusagen.

Einige Einzelhändler reagieren aber auf die Entwicklung. So hat die Baumarktkette Hornbach angekündigt, von 2020 an in Deutschland kein Feuerwerk mehr ins Sortiment zu nehmen. Für dieses Jahr sei es zu spät gewesen, die Ware sei schon geliefert worden. Einige Kaufleute bei Rewe und Edeka, die ihre Geschäfte als Inhaber führen und deshalb selbst entscheiden können, verzichten aber in diesem Jahr schon auf das Geschäft mit Silvesterböllern.

Wie sieht es im Ausland mit Silvester-Feuerwerk aus?

Jedes EU-Land hat eigene Regelungen. So darf zum Beispiel in Irland an Privatpersonen nur Feuerwerk der harmlosen Kategorie F1 verkauft werden. In Schweden dürfen Rakten seit einigen Monaten nur an Personen abgegeben werden, die eine spezielle Genehmigung eingeholt haben. In anderen Ländern wie etwas Frankreich gibt es zwar keine rigorosen Verbote, es ist jedoch unüblich, dass Menschen auf der Straßen selbst Böller knallen lassen, Raketen fliegen lassen oder Feuerwerksbatterien abfackeln. Vielleicht tröstet die Befürworter der Knallerei ein Blick nach China. Obwohl das Feuerwerk dort seinen Ursprung hat und den hierzulande beliebtesten Böllern den Namen gibt, haben in den vergangenen Jahren mehr als 400 Städte private Feuerwerke verboten.

Welche Alternativen zum Böllern gibt es?

Feuerwerk, das weder Feinstaub noch Müll erzeugt, und Böller, die weder Brandwunden noch Trommelfellrisse verursachen: Wer es im Greta-Jahr ethisch und ökologisch korrekt krachen lassen möchte, hat unterschiedliche Möglichkeiten. Als Böller-Ersatz empfiehlt sich etwa die gute alte Butterbrottüte, die bei der Gelegenheit gleich eine Wiederverwertung erfährt - einfach ausleeren, hineinpusten, draufhauen. Etwas mehr Wumms entwickeln leere Getränketüten - mit dem Strohhalm aufpusten, auf den Boden legen, draufspringen. Alternativ bieten sich natürlich drehbare Holzratschen oder Startklappen an, wie man sie von der Fankurve oder den Bundesjugendspielen kennt.

An Nachhaltigkeit nicht zu übertreffen ist die Öko-Rakete, die lediglich durch Geräusche erzeugt wird. Dazu einen sehr lauten, langgezogenen Pfeifton ausstoßen, anschließend in die Hände klatschen, um den Knall zu imitieren - schon steigt die Rakete vor dem geistigen Auge steil gen Himmel und zerspringt in 1000 Sterne. "Lauter und plastischer wird der Knall, wenn man mit einem großen Kochlöffel auf einen geschlossenen Umzugskarton haut", empfiehlt der Münchner Geräuschemacher Otger Kunert. Wer die Kunst des lauten Pfiffs nicht beherrscht, kann einen Luftballon aufblasen und am Mundstück auseinanderziehen, so dass ein quietschender Ton entweicht.

Fehlt noch etwas fürs Auge: Dazu ein paar Hundert Drohnen mit LED-Lampen ausstatten und so programmieren, dass sie sich wie ein Vogelschwarm formieren und ein Feuerwerk an den nächtlichen Himmel malen. Diese Lösung ist zwar nicht ganz billig, aber wenn die Nachbarschaft zusammenlegt, lässt sich das schon stemmen - schließlich haben alle etwas davon.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4737208
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/vs
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.