Raumfahrt:Sigi und der Sternenstaub

Sigmund Jähn und Valery Bykovsky, Baikonur PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TASS_577284

Am 26. August 1978 startete Sigmund Jähn gemeinsam mit dem Kosmonauten Waleri Bykowski vom Raumfahrtzentrum Baikonur aus ins All.

(Foto: imago images/ITAR-TASS)

Sigmund Jähn flog als erster Deutscher ins All und wurde trotzdem fast vergessen. Erinnerungen an einen feinen Menschen.

Von Lea Hampel und Cornelius Pollmer

An einem sonnigen Tag im Juli 2017 liegt der größte Volksheld der DDR nackt in seinem Garten und liest ein Buch. Das Läuten hat Sigmund Jähn nicht gehört, nur deswegen ist man erst durchs Tor und dann über den schmalen Weg zu einer kleinen Baumgruppe vor seinem Haus. Zwischen diesen Bäumen blitzt nun also ein blanker Kosmonautenhintern, und blank ist man deswegen vor Schreck jetzt irgendwie auch: Wohin gucken, was sagen?

Ein paar Minuten später steht Jähn sanft lächelnd vor einem, in Stoffhose und Kurzarmhemd. Den Nachmittag lang wird er bei Kaffee und Kuchen von einem Leben erzählen, das man besonders nennen darf und nennen muss. Und es sagt schon viel über den feinen Menschen Sigmund Jähn, dass seine einzige Sorge dabei sein wird, irgendjemand könne ihn zu wichtig nehmen, schlimmstenfalls sogar er sich selbst.

Sigmund Jähn wird 1937 in Rautenkranz im Vogtland geboren. Bis zuletzt kehrt er immer wieder dorthin zurück und er bleibt dabei, noch auf dem Mars sei es "nicht ein Krümchen so schön wie in meinem Rautenkranz im Vogtland". Der Vater arbeitet im Sägewerk, die Mutter im Haushalt, der kleine Sigmund steckt sein Nase aber lieber in die Zeitschrift eines Freundes, sie heißt Kosmos. Das Fliegen fasziniert den Jungen schon zu einer Zeit, als es im Ort nur ein einziges Auto gibt, und das gehört dem Arzt.

Astronaut, Kosmonaut oder Taikonaut?

Raumfahrer ist nicht gleich Raumfahrer. Astronaut, Kosmonaut und Taikonaut tun zwar alle das gleiche, nämlich ins All fliegen, haben aber eine unterschiedliche Herkunft. Die Bezeichnung "Astronaut" ("Astron" heißt auf Altgriechisch "Stern") stammt aus den USA, während "Kosmonaut" (das altgriechische "Kosmos" steht für Weltraum) in der Sowjetunion geprägt worden ist. Da Sigmund Jähn als erster Deutscher für die damalige DDR mit einer sowjetischen Raumkapsel ins All flog, galt er als Kosmonaut. Auch heute werden Weltraumfahrer des russischen Raumfahrtprogramms Roskosmos noch als Kosmonauten bezeichnet, während Astronauten für die Nasa und die Europäische Weltraumorganisation Esa ins All fliegen.

In China verwendet die dortige Raumfahrtorganisation CNSA in internationalen Berichten meistens ebenfalls die englische Bezeichnung "Astronaut", teilweise aber auch den Begriff "Taikonaut". Dieser setzt sich zusammen aus dem chinesischen Wort "Taikong" für Weltraum und, wie bei Astronauten und Kosmonauten, dem griechischen Wort "Nautes": Seefahrer. Bekannt wurde der Begriff Taikonaut im Jahr 1998 durch die Internetseite "Go Taikonauts!" Sie war zu der Zeit die einzige Informationsquelle aus China, die auf Englisch über Pekings Raumfahrt berichtete. Die Astro-, Kosmo- und Taikonauten sind aber nicht die einzigen Menschen im All. Deutlich seltener, aber dennoch geläufig sind in folgenden Ländern diese Bezeichnungen für Raumfahrer: Angkasawan (Malaysia), Spationauten (Frankreich) und Vyomanauten (Indien). Österreich nimmt es mit Humor und bezeichnet seinen bisher einzigen Raumfahrer Franz Artur Viehböck in den Medien gerne mal als "Austronauten."

Alexandra Dehe

Aus heutiger Sicht, sagt Jähn, seien die Verhältnisse ärmlich, so habe er es damals aber nie empfunden. Nach der Volksschule wird er zunächst Buchdrucker, ein Zugeständnis an den Vater. Dann aber lässt Jähn sich zum Jagdflieger ausbilden und lernt dabei seine spätere Frau Erika kennen. Beide lachen, als Jähn davon erzählt, als er sie anblickt und sagt: "Du hast dich aufgedrängelt!" Weil er noch viel höher steigen möchte, als Jagdflieger das können, gelangt er in ein Raumfahrtprogramm im Moskauer "Sternenstädtchen", einem Trainingszentrum, in dem Jähn auf alles Mögliche vorbereitet wird - nicht aber auf die Frage, was es bedeutet, wenn man zum Hauptdarsteller eines Ereignisses wird, das noch viel größer ist als das eigene Leben.

Im August 1978 fliegt Jähn ins All, in der Raumkapsel Sojus 31. Die Reise dauert sieben Tage, 20 Stunden, 49 Minuten und vier Sekunden. Mit seinem sowjetischen Kollegen umkreist der Kosmonaut 125-mal die Erde und sieht 16 Sonnenaufgänge in 24 Stunden. Mit an Bord: ein Sandmann und ein Bild von Honecker. Inszenierungshandgepäck, mit freundlichen Grüßen des Staatsapparats. Die Sonderausgabe des "Sandmännchens" wird nie gesendet und das Bild von Honecker hängt Jähn immer nur dann auf, wenn das DDR-Fernsehen mal wieder live aus dem All überträgt, aus Vorsicht vor Fettflecken, nicht aus politischen Gründen. So erzählt Jähn es später in seinem Garten in Strausberg bei Berlin.

Fliegerkosmonaut der DDR

Frei und ohne Bitterkeit kann er dort auch berichten von den Folgen seiner Raumfahrt. Wie fühlt es sich an, als politisches Symbol mindestens genutzt worden zu sein? Und wie verändert es den Blick auf die Welt, wenn man diese Welt einmal tatsächlich gesehen hat, in Gänze und mit eigenen Augen? Über Nacht wird Jähn nach seinem Flug in der DDR zum lebenden Denkmal. Es gibt Gedenkmünzen und Briefmarken und Wimpel mit seinem Gesicht, in seinem Heimatort Morgenröthe-Rautenkranz erinnert eine Stele an ihn und seinen Flug. Extra für den Raumfahrer erdenkt die DDR die Auszeichnung "Fliegerkosmonaut der DDR", Jähn bleibt der einzige Träger dieses Ordens. Die Inszenierung reicht so weit, dass der Staat zu verschweigen beschließt, dass Jähn kurz vor seinem Flug Großvater geworden war. Ein Opa im All, das wäre keine gute PR.

Jähn sagt auf seiner Terrasse: "Natürlich hat mir in der DDR vieles nicht gefallen, aber ich kann mich nicht als Gegner des Sozialismus bezeichnen." Als Volksheld genießt er nach seiner Pionierfahrt Freiheiten, nie aber überlegt er, diese für eine Flucht zu nutzen, sagt Jähn, und das liege nicht allein an Erika und den beiden Töchtern. Sigmund Jähn ist ein Mann mit Ehrgeiz, aber auch einer, der sich fügt, der die Dinge so nimmt, wie sie kommen. Seine Mutter hätte ihn dies gelehrt und so handelt der Soldat Sigmund Jähn auch in den Jahren nach seinem großen Erfolg, der in der öffentlichen Erzählung ein noch viel größerer Triumph der DDR gewesen ist.

Im Osten ist Jähn noch heute ein unbedingter Held und bestimmt annähernd so beliebt wie das Sandmännchen. Was sagt der Held selbst dazu? Auf seiner Terrasse, im Sommer 2017, sagt Jähn, er sei "in diese Geschichte" irgendwie reingeraten, "das hätte auch jemanden anders treffen können, das muss man so sehen". Aber es ist gut, dass gerade er in diese Geschichte reingeraten ist. Weil er ein bescheidener und angenehm leiser Mann ist und weil er nicht mit Bitterkeit oder Zorn darauf reagiert, dass ihm der Ruhm im Westen lange verwehrt bleibt. Bekannt wird sein Name dort am ehesten noch 2003 durch den Film "Good Bye, Lenin!", der mit dem Weltraumflug beginnt. Jähn soll sich selbst spielen, sagt jedoch ab - und schaut sich schließlich in einem Berliner Kino an, wie der Film-Honecker dem Film-Jähn einen Orden ansteckt.

Sigmund Jähn hat sich nie beklagt darüber, dass er nach der Wende fast vergessen worden wäre und sich beinahe hätte arbeitslos melden müssen. Er kommt unter, berät in den Jahren danach die Europäische Weltraumorganisation und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Er bildet Kosmonauten aus, die nun Astronauten heißen, unter ihnen Alexander Gerst, der sein persönlicher Freund wird. Jähn fährt seinen alten Peugeot immer weiter, in den Sommern geht er morgens schwimmen, im Straussee, direkt hinter dem Haus.

Er wirkt dankbar, und noch wesentlicher als der berühmte Ausflug ins All scheint dafür die Tatsache zu sein, dass seine Frau und er am Haus zwei Ecken eingerichtet haben, an denen es sich schön Kuchen essen lässt, je nach Sonnenstand. Am Samstag ist Sigmund Jähn ebendort, in Strausberg, gestorben. Vom Besuch zwei Sommer zuvor bleibt seine Dankbarkeit für gelebtes Leben mehr in Erinnerung als der blitzende Hintern. Es bleibt Jähns Sorge um die Natur und sein Fremdeln mit dem Kapitalismus wie mit der Maßlosigkeit des Menschen. Und es bleibt, ganz zum Schluss, auch ein wunderbarer lakonischer Satz des großen Kosmonauten Sigmund Jähn, dessen Gegenwart nun Vergangenheit wird. Ob er zufrieden sei mit seinem Leben, glücklich gar, hatte man wissen wollen. Jähn sagte darauf nicht Ja oder Nein, er sagte: "Ich wundere mich."

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