Sicherungsverwahrung:Knall auf Fall entlassen

Sie gilt als nicht gemeinschaftsfähig und regle Dinge eher auf körperlicher Ebene: In Baden-Württemberg wird eine Frau nach 14 Jahren in Haft aus der Sicherungsverwahrung freigelassen - ohne große Vorbereitung. Die Gutachter jedoch sind sich einig: Sie wird wieder Straftaten begehen.

Von Annette Ramelsberger, Stuttgart

Die Frau ist nun 47 Jahre alt und sie sitzt seit 14 Jahren in Haft. Erst, weil sie Dutzende Brände gelegt hat. Dann, weil sie immer wieder alte Damen überfallen hat. Sie hat eine Putzfrau in eine Toilette gelockt und ihr ein Messer an die Brust gehalten. Einer Wachtmeisterin hat sie durch die Essensluke ihrer Zelle hindurch den Arm verdreht.

In der Haftanstalt hat sie jegliche Therapie abgelehnt, sie gilt dort als nicht gemeinschaftsfähig, sitzt in Einzelhaft, in einem eigenen Appartement, das man für sie eingerichtet hat. Sie regele Dinge eher auf körperlicher Ebene, nicht mit Worten, hat sie gesagt. Diese Frau ist nun von einem auf den anderen Tag entlassen worden. Ohne langsame Vorbereitung. Und das ist kein Einzelfall in Deutschland.

Mehrere Gutachter haben der Frau aus Baden-Württemberg attestiert, sie sei aufgrund der hohen Reizabschirmung in der Haft nicht mehr gewöhnt, mit alltäglichen Provokationen umzugehen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde sie unter Stress wieder Straftaten begehen. Eine Entlassung in die Ungewissheit bedeutet unumstritten Stress. Dabei hatte die JVA, in der sie zuletzt saß, drei Wochen Zeit, um die Frau zumindest ein wenig vorzubereiten.

Von jetzt auf gleich in die Freiheit

Denn vor drei Wochen hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ellwangen erklärt, die Frau müsse aus der Sicherungsverwahrung freigelassen werden - spätestens bei Rechtskraft des Urteils. Am Mittwoch wurde das Urteil rechtskräftig. Da hat das Oberlandesgericht Stuttgart die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entlassung der Frau zurückgewiesen. Noch am gleichen Tag musste sie freikommen.

"Meine Mandantin wurde Knall auf Fall entlassen", sagt der Münchner Rechtsanwalt Adam Ahmed, "die JVA hat es noch nicht einmal geschafft, zuvor einmal mit ihr zu der Person zu fahren, die bereit ist, sie aufzunehmen. Das ist völlig unverständlich." Die Frau wollte bei einem Bekannten unterkommen, die Verhältnisse dort erwiesen sich aber als zu beengt.

Bewährungshilfe reicht als "Neustart"

Die Haftanstalt Schwäbisch Gmünd sieht das anders. "Bei Personen, die in Sicherungsverwahrung waren, ist es nie einfach, sie wieder ins Leben zu stellen", sagt die Leiterin der JVA, Sibylle von Schneider-Holl, "die Betroffene hat nie den Wunsch geäußert, schon vorher zu der Entlassadresse zu fahren." Mit der Bewährungshilfe, die in Baden-Württemberg "Neustart" heißt, sei in den vergangenen Wochen die Entlassung vorbereitet worden. In Sachen Unterkunft suche man nun nach Plan B.

In Deutschland gibt es knapp 60 männliche Sicherungsverwahrte, aber nur drei Frauen, die nach Verbüßung ihrer Haftstrafen weiter im Gefängnis bleiben - weil sie ein Sicherheitsrisiko darstellen. Eine dieser Frauen sitzt in Frankfurt, sie hat ihre Lebensgefährtin zu Tode gefoltert und später erneut versucht, eine Frau in den Tod zu treiben.

Bei der nun frei gelassenen Gefangenen aus Baden-Württemberg liegt der Fall anders: Sie hat zwar Überfälle begangen, auch Gewalt angewendet, aber das Risiko schwerster Gewalt- und Sexualtaten, was Voraussetzung ist für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung, ist bei ihr nach Ansicht der Richter nicht gegeben. Bei der Frau handele es sich nur um eine "mittelgradig gefährliche Täterin", bestätigte das OLG.

Scharfe Auflagen für "einigermaßen" guten Schutz

Die Richter haben sich ein ganzes Bündel an Instrumenten ausgedacht, um das Risiko einzudämmen: Die Frau darf von abends 22 Uhr bis morgens 6 Uhr ihre Wohnung nicht verlassen - damit sie es schwerer hat, unbemerkt Brände zu legen. Sie darf außerhalb ihrer Wohnung kein Feuerzeug, keine Streichhölzer und auch kein Messer mit sich führen. Sie muss sich einmal in der Woche beim Bewährungshelfer melden. Und sie bekommt eine Fußfessel, die ständig ihren Aufenthalt meldet. Fünf Jahre lang soll das so gehen. Mehr könne nicht getan werden, um unbeteiligte Dritte vor der Frau "einigermaßen" zu schützen, schreibt das OLG in seinem Beschluss.

Man könnte allerdings mehr tun: sie vorbereiten auf die neue Lebenssituation, sie langsam an die Entlassung gewöhnen, wie es bei normalen Strafgefangenen vorgeschrieben ist - mit allmählichen Hafterleichterungen, begleiteten Ausgängen, Freigang übers Wochenende. Aber Sicherungsverwahrte haben ihre Haft ja längst verbüßt. Wenn ein Gericht sie freilässt, dann sind sie sofort frei, auf volles Risiko.

"Ich habe seit der Gesetzesänderung zur Sicherungsverwahrung 17 Mandanten aus der Sicherungsverwahrung frei bekommen, in Aachen und Freiburg, in Werl und in Straubing", sagt der Rechtsanwalt Ahmed: "Aber kein einziger wurde auf die Freiheit vorbereitet, in keinem Bundesland."

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