Germanwings-Absturz in Frankreich:Angst fliegt mit

Fluzeug Passagierdaten

Ein Flugzeug startet am Mittwoch den 17.Februar 2010 vom Flughafen von Frankfurt am Main vor zwei Kondensstreifen am Himmel.

(Foto: ag.dpa)
  • Immer mehr Details über eine psychische Erkrankung des Piloten Andreas Lubitz werden bekannt. Schnell werden aus der Tragödie nun Schlüsse und Konsequenzen bei den Airlines gezogen.
  • Aussperren, wie es die Ermittler behaupten, konnte Lubitz seinen Kollegen nur weil nach dem 11. September 2001 die Cockpit-Türen verstärkt wurden und ein Schalter erlaubte, die Türe von innen zu blockieren.
  • Eine Zwei-Personen-Regel für Cockpits soll Situationen wie in der Germanwings-Maschine verhindern. Doch Fälle in der Vergangenheit zeigen, auch dann kann es zum Amoklauf eines der beiden Piloten kommen.
  • Wichtiger sind daher regelmäßige psychologische Tests, denen sich die Piloten unterziehen lassen müssen. Die Branche scheint sich dahingehend zu bewegen.

Von Jens Flottau

In der Regel ist das ein jahrelanger Prozess: Flugzeugabstürze analysieren und aus ihnen die richtigen Konsequenzen ziehen. Vor allem für die Angehörigen der Opfer kann das quälend sein, niemandem kann es schnell genug gehen. Doch der Absturz des Airbus A320 von Germanwings war gerade mal zwei Tage her, da präsentierte der französische Staatsanwalt Brice Robin eine erste grobe Erklärung des Hergangs. Und nur ein paar Stunden darauf zogen Fluggesellschaften und Behörden weltweit schon erste Konsequenzen.

Immer mehr Details über psychische Erkrankung

Sie taten dies aus gutem Grund, denn nun tauchen immer mehr Details über die psychische Erkrankung des Copiloten Andreas Lubitz auf, der das Flugzeug mutmaßlich zum Absturz gebracht hat. So war er seit Längerem in psychiatrischer Behandlung, in seiner Wohnung fanden Ermittler zerrissene Krankschreibungen, "auch den Tattag umfassend". Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf nimmt an, dass L. seine Erkrankung "gegenüber dem Arbeitgeber und dem beruflichen Umfeld verheimlicht hat".

Noch am Donnerstag kündigten Fluggesellschaften weltweit neue Regeln für den Cockpit-Zugang an. Doch es wird deutlich länger dauern, um grundsätzliche Schlüsse aus der Germanwings-Tragödie zu ziehen. Dazu braucht es zunächst eine Diskussion darüber, wie sinnvoll hermetisch abgeriegelte Cockpits tatsächlich sind - vor allem aber eine Debatte über die psychologische Betreuung von Piloten und die Aufsichtspflicht der Airlines gegenüber ihren Mitarbeitern.

Zwei-Personen-Regel soll mehr Sicherheit bringen

Zahlreiche Fluggesellschaften und Aufsichtsbehörden haben noch am Donnerstag entschieden, dass künftig während des Flugs immer zwei Personen im Cockpit sein müssen. Damit soll verhindert werden, dass ein Einzelner die alleinige Kontrolle über das Cockpit hat.

Nach der Theorie des französischen Staatsanwalts Robin hat der offenbar psychisch labile Copilot aktiv verhindert, dass der Kapitän ins Cockpit zurückkehren konnte, nachdem der kurz nach hinten gegangen war. Der Copilot hat demnach auch den Sinkflug aus 11,5 Kilometern Höhe gegen eine Bergflanke eingeleitet. Alle 150 Menschen an Bord kamen dabei ums Leben.

Australien, Neuseeland und Kanada machten die Zwei-Personen-Regel mit sofortiger Wirkung zur Pflicht, sie schwenkten damit auf die Praxis ein, die in den USA üblich ist. In Europa gingen am Freitag zunächst einzelne Fluggesellschaften voran: Die Lufthansa beschloss, im ganzen Konzern die Regel einzuführen - also für die Gesellschaften Lufthansa, Germanwings, Austrian, Swiss, Eurowings, Lufthansa Cityline und Air Dolomiti.

In Europa änderten außerdem Easyjet, Air France, KLM, Norwegian, Icelandair, Air Baltic und Air Berlin ihre Vorschriften. Schließlich beriet sich der Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft mit dem Luftfahrtbundesamt und machte dann das Verfahren für alle deutschen Fluggesellschaften verbindlich.

Seit dem 11. September 2001 sind Cockpit-Türen unüberwindbar

Damit soll eine Vorschrift perfektioniert werden, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingeführt worden war. Behörden auf der ganzen Welt schrieben damals Cockpit-Türen vor, die von außen auch mit Gewalt praktisch nicht mehr zu öffnen sind. In den vergangenen 20 Jahren - vor und nach 9/11 - hat es aber mindestens fünf Abstürze gegeben, bei denen Suizide eines Piloten als Ursache gelten und die womöglich zu verhindern gewesen wären, wenn andere Besatzungsmitglieder sich hätten Zugang zum Cockpit verschaffen können. Und immer noch ist denkbar, dass beim Verschwinden des Fluges Malaysia Airlines MH370 im Jahr 2014 einer der Piloten nachgeholfen hat.

Allerdings: Auch ein leichterer Zugang zum Cockpit oder neue Vorschriften für eine ständige Doppelbesetzung im Cockpit machen solche Taten nicht für alle Zeiten unmöglich. Im Jahr 1999 lieferten sich Kapitän und Copilot im Cockpit einer Boeing 767 der Egyptair vor der amerikanischen Ostküste einen Kampf an der Steuersäule. Der Kapitän verlor, die Maschine stürzte ins Meer.

Vorbeugemaßnahmen müssen verbessert werden

Womöglich ist eine andere Diskussion viel wichtiger: nämlich die, wie Fluggesellschaften künftig offensichtliche Problemfälle wie den Germanwings-Copiloten Lubitz besser überwachen, betreuen oder auch aus dem Verkehr ziehen können.

Seine Ausbildung bei der Lufthansa musste Lubitz, angeblich wegen Depressionen, mehrere Monate lang unterbrechen, bekam aber am Ende alle Zulassungen; wenn auch mit einem gesonderten Vermerk über künftige medizinische Betreuung. Dem Vernehmen nach waren zumindest im engeren Kollegenkreis Lubitz' depressive Tendenzen bekannt. Dies hat aber nicht dazu geführt, dass seine Vorgesetzten Konsequenzen zogen. Ob sie trotz seiner Versuche, die Krankheit zu verheimlichen, davon wussten, ist nicht klar. Der Eintrag in seiner Lizenz gibt keinen Aufschluss über die genauen Gründe.

Psychologische Tests dienen bisher nicht dazu, labile Kandidaten zu identifizieren

Lufthansa und Germanwings selbst kümmern sich eigentlich nur im Laufe des Bewerbungsverfahrens systematisch um psychologische Analyse. Und selbst dort tun die Fluggesellschaften dies nicht, um labile Kandidaten zu ermitteln, sondern um Interessenten mit einem Persönlichkeitsprofil zu identifizieren, das zum Beruf passt.

Doch nun kommt plötzlich auch hier Bewegung in die Sache. Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), eine normalerweise für ihre besondere Langsamkeit bekannte Unterorganisation der Vereinten Nationen, fordert regelmäßige medizinische Spezialtests von Piloten. Diese Untersuchungen müssten nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Fitness prüfen. Die Untersuchungen müssten von Spezialisten für den Luftverkehr vorgenommen werden. Und falls ein Ergebnis Anlass zur Sorge gebe, sagt die ICAO, müssten auch neuropsychologische Checks erwogen werden.

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