Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche:In der Narzissmusfalle

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Die katholische Kirche ist nicht in der Lage, die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in die Hände anderer zu legen. Das zeigt der Ausstieg aus dem Projekt mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut. Aus dem Mut der Verzweiflung im Skandaljahr 2010 ist ein misstrauisch-ängstlicher Blick geworden.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Die Geschichte vom Jüngling Narzissus, erfüllt vom trotzigen Stolz auf die eigene Schönheit, endet tragisch: Die Götter verdonnern ihn, sich ins eigene Spiegelbild zu verlieben. Getrieben von unstillbarer Selbstliebe bringt er sich um; andere erzählen, er sei ins Wasser gefallen und ertrunken, als ein Blatt herniederfiel und die Wellen das gespiegelte Gesicht verzerrten. Narzissmus jedenfalls - die Unfähigkeit, anderes zu sehen als sich selbst - ist gefährlich. Es kann im sozialen und realen Tod enden.

Die katholische Kirche steckt in dieser Narzissmusfalle, was die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals angeht, der vor nun drei Jahren offenbar wurde: Sie kann den Blick nicht von sich selber abwenden. Sie hat, anders als der arme Narziss, in diesen drei Jahren zum Glück gelernt, dass das Gesicht, das ihr da entgegenblickt, auch Falten, Wunden und Flecken hat. Aber sie ist gefangen, kann den Blick nicht heben, fragt furchtsam und auch selbstmitleidig: Wo soll das hingehen mit uns? Was muss geschehen, damit unser Bild, unser Image, wieder besser wird?

Unbedachte Äußerungen des KFN-Direktors Pfeiffer

Das ist letztlich der Grund, warum nun die Bischofskonferenz aus dem Aufarbeitungsprojekt des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) aussteigt. Ursachen vor diesem letzten Grund gibt es viele: Da haben die Bischöfe unter dem Eindruck, schnell handeln zu müssen, mit dem KFN einen Vertrag geschlossen, ohne dass die Partner geklärt hätten, was sie nun tatsächlich wollen. Da hat der umtriebige KFN-Direktor Christian Pfeiffer mit unbedachten Äußerungen und sprunghaften Aktionen das Vertrauen der Kirchenleute erschüttert. Da haben die wiederum Pfeiffer mit einem Vertragsentwurf erzürnt, der der Kirche weitreichenden Zugriff auf Art und Ergebnisse der Forschung ermöglicht hätte.

Und die verschiedenen, selbst für die Beteiligten kaum zu überblickenden Nachbesserungsverhandlungen konnten weder das Vertrauen zurückbringen noch den Zorn dämpfen. So etwas kann vorkommen, erst recht, wenn es um sensible Personalakten geht, um den Schutz von Menschen mit Persönlichkeitsrechten, ob sie nun Täter sind oder Opfer.

Im Kern aber ging es um die Frage, ob und wie weit die katholische Kirche die Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in die Hände anderer legen kann und will. Das ist riskant. Wer sich in die Hände anderer begibt, entäußert sich seiner Macht. Er wird selber verletz- und missbrauchbar. Aber er überwindet auch die Fixierung auf sich selbst, wird wieder beziehungs- und kommunikationsfähig, kann verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.

Das war die Chance des KFN-Projektes. Sie ist vertan, und ob sie wiederkommt, ist zweifelhaft. Sie ist vertan, nicht, weil es hier die bösen Bischöfe und dort den guten Pfeiffer gibt. Es traf aber der Anspruch des Instituts, möglichst unabhängig und frei von Auflagen zu arbeiten, auf das Sicherheitsbedürfnis der Bischöfe: Was macht das KFN mit unseren Daten? Was, wenn der uns reinlegt? Aus dem Mut der Verzweiflung im Skandaljahr 2010 ist ein misstrauisch-ängstlicher Blick geworden, der sich letztlich wieder ans Spiegelbild des Selbst heftete.

Institutionellen Narzissmus gibt es überall

Es tröstet wenig, dass dieser institutionelle Narzissmus fast überall zu finden ist, wo sexuelle Gewalt über Jahre hin verdrängt oder vertuscht werden konnte, dass er geradezu Voraussetzung dafür ist, dass Täter ihre Netze des Schweigens, Mitwissens und Ahnens knüpfen können: in der katholischen Kirche, der Odenwaldschule, beim britischen Sender BBC. Es zeigt sich, dass es kein echtes Lernen aus der Gewalterfahrung gibt, wenn dieser institutionelle Narzissmus nicht überwunden wird.

Dazu gehört, dass der Blick von außen auf einen selbst möglich wird, mehr noch: als notwendig für die Selbsterkenntnis betrachtet wird - ob der, der da von außen schaut, nun Christian Pfeiffer heißt oder nicht. Systemprobleme können nur selten von innen heraus erkannt und behoben werden. Und die sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche hat auch systemimmanente Ursachen. Sie nährt sich aus der Vorstellung, dass eine an sich reine Institution von Tätern beschmutzt wurde und nun wieder gereinigt werden müsse. Sie lebt aus der Einsamkeit und Überlastung vieler Priester. Sie bleibt unbewältigt, solange es vorrangig um die Frage geht: Wie stehen wir denn dann da?

Reinigen kann dieser Blick von außen die Kirche nicht. Im Gegenteil wird er das Bewusstsein für die eigenen Abgründe und dunklen Flecken schärfen. Aber erst, wenn die Kirche diese Abgründe sieht, wird sie den Blick vom Spiegelbild abwenden können: zunächst hin zu den Opfern, die in diesem ganzen Streit höchstens eine Nebenrolle spielen. Und dann zu den Menschen, um derentwillen die Kirche wieder glaubwürdig werden sollte.

© SZ vom 10.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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