Sexuelle Übergriffe in Köln:Machokultur lässt sich überwinden, auch bei Erwachsenen

Pfeiffer hat seit 1998 türkischstämmigen Jugendlichen wiederholt denselben Fragebogen vorgelegt. Es geht um Zustimmung zu Aussagen wie: Der Mann ist Oberhaupt der Familie und darf Gewalt anwenden. Wenn seine Frau ihn betrügt, kann er sie schlagen. 1998 hätten 41 Prozent der Jugendlichen das uneingeschränkt akzeptiert. Heute antworteten 30 Prozent weniger so - dank Integration, Sprache, Bildung. Auch die Eltern hätten sich oft mit angepasst.

Pfeiffers Erfahrung ist: Die Machokultur lässt sich überwinden, auch bei Erwachsenen. Wichtigstes Instrument: die Sprache. Deutschkurse für alle Flüchtlinge verlangt er, dafür müsse die Politik Geld ausgeben.

Jede zweite Frau in Deutschland hat am Arbeitsplatz Situationen erlebt, die das Gesetz als sexuelle Belästigung bewertet, dies hat eine Studie vergangenes Jahr ergeben. Das passt zur Sicht von Kübra Gümüsay. Dass Sexismus, der sich nun so ausgetobt hat, keineswegs ein importiertes Problem ist, davon ist die Deutschtürkin überzeugt. Gümüsay ist 28, muslimische Feministin, Journalistin und Aktivistin. "Es ist falsch, dass es nun in der aktuellen Debatte so dargestellt wird, als gäbe es ein grundlegendes Problem mit Männern aus dem arabischen Raum und Flüchtlingen", sagt sie. Schon der Alltagssexismus sei lange kleingeredet worden.

Als Muslima mit Kopftuch kennt sie rassistische verbale Angriffe

Man habe das sehen können, als sich bei der Twitter-Kampagne #aufschrei Frauen meldeten mit ihren Erfahrungen - und oft ins Lächerliche gezogen wurden. "Das macht deutlich, dass da die Sensibilität fehlt." Zugleich habe die Aktion gezeigt, wie viele Frauen sich sexistischem Verhalten ausgesetzt sehen, und wie selten das an die Öffentlichkeit gebracht wird. Jedenfalls sieht sie in der deutschen Gesellschaft genug Reste patriarchalischer Traditionen, gerade in einer Arbeitswelt voll männlicher Entscheidungsträger.

Doch die mobartige Gewalt von Köln sei natürlich eine andere Dimension. Es gebe Hinweise, dass sich die Tätergruppe organisiert habe. Wenn das so sei, dann sei es nur "ein isoliertes Phänomen".

Belästigungen kennt auch sie, die als Muslima Kopftuch trägt. Das sind rassistische, islamfeindliche verbale Angriffe. Sie wisse von vielen Musliminnen in Deutschland, dass sie auf der Straße beschimpft, angespuckt und geschubst würden.

In arabischen Ländern werde sexistisches Verhalten nicht geächtet

Gümüsay glaubt nicht, dass für Muslime westlich gekleidete Frauen ein besonderes Ziel sind. Aus Ägypten weiß sie, dass Frauen, die verhüllt unterwegs sind, genauso belästigt werden. Dass die dortigen Gesellschaften stark patriarchalisch geprägt seien, spiele zwar eine Rolle bei Männern aus arabischen Ländern, dort werde sexistisches Verhalten nicht geächtet. Doch auch in Deutschland geschehe dies nicht ausreichend. Dafür seien alle verantwortlich.

"Das Ideal wäre eine Gesellschaft, in der man sich für den eigenen Sexismus schämt." In Köln hatten die Männer offenbar nicht einmal Angst vor Strafen, das sei ein Problem, sagt Gümüsay. "Da ist nun unsere Justiz gefragt, unsere Polizei", sagt die Feministin und klingt fast wie der Kriminaldirektor aus Braunschweig.

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