Sexuelle Übergriffe im Jugendsport:"Bist du alleine mit dem Trainer?"

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"Wir müssen uns vor Augen führen, dass gerade im Sport oft sehr nahe, familienähnliche Beziehungen herrschen", sagt Bettina Rulofs. Oft wissen Missbrauchsopfer nicht, wem sie sich anvertrauen sollen. (Foto: Florian Peljak)

Zwei Fälle sexuellen Missbrauchs erschüttern gerade den deutschen Jugendsport. Bettina Rulofs, Leiterin des Projektes "Safe Sport", erklärt, warum manche Taten jahrelang unbemerkt bleiben.

Interview von Thomas Hummel

Zwei Fälle sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen erschüttern gerade den Jugendsport.

In Weimar hat ein Trainer eines Turnvereins 15 Mädchen sexuell belästigt und missbraucht, ein Gericht hat ihn Anfang der Woche zu einer Haftstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. In Baden-Baden steht ein 34-Jähriger vor Gericht, der als Lehrer in privaten Schwimmschulen 40 Mädchen sexuell genötigt und missbraucht haben soll, ebenfalls über mehrere Jahre hinweg. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln forscht seit Langem zum Thema Sexuelle Gewalt im Sport.

SZ: Frau Rulofs, wie groß ist das Problem im deutschen Sport?

Bettina Rulofs: In unserer Studie "Safe Sport" gaben zwei Prozent der etwa 13 000 befragten Vereine an, mit Verdachtsfällen oder konkreten Fällen sexualisierter Gewalt konfrontiert gewesen zu sein. Wir gehen außerdem von einer Dunkelziffer aus. Nicht alle Fälle kommen ans Licht.

In Weimar und Baden-Baden hat jahrelang niemand etwas bemerkt.

Wir müssen uns vor Augen führen, dass gerade im Sport oft sehr nahe, familienähnliche Beziehungen herrschen. Wenn ein Trainer sich lange positiv im Verein engagiert, dann unterstellt man ihm nichts Böses.

Verdrängt das Umfeld wichtige Signale?

Es gibt Fälle, da nimmt niemand etwas wahr: Es gibt keine Anzeichen bei den Betroffenen, kein ungewohntes Verhalten bei den Tätern. In anderen Fällen senden Betroffene Signale, die das Umfeld nicht oder falsch aufnimmt.

Was sind das für Signale?

Wenn ein Kind etwa erzählt, dass es im Umgang mit dem Trainer etwas komisch findet. Das können auf den ersten Blick belanglose Dinge sein: dass man sich gemeinsam umkleidet oder duscht. Die Erwachsenen denken dann: Na ja, da herrscht halt ein lockerer Umgang, gehört zum Sport dazu. Und sie verfolgen das nicht weiter. Dabei möchte das Kind herausfinden: Ist das normal? Wenn Erwachsene darauf nicht reagieren, akzeptiert das Kind die Vorgänge. Dabei hat es vielleicht die ganz schlimmen Dinge noch nicht erzählt, weil damit Scham verbunden ist.

Trainer haben gerade im Leistungssport eine Machtposition inne.

Bettina Rulofs, 47, ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Soziologie und Genderforschung an der Sporthochschule Köln und leitet das Forschungsprojekt "Safe Sport" zu sexualisierter Gewalt im Sport. (Foto: OH)

Das spielt eine große Rolle. Leistungssportler nehmen viel auf sich, um sich für eine Mannschaft oder einen Kader zu qualifizieren. Wenn ein Trainer dann seine Stellung missbraucht, ist es für die jungen Menschen schwierig, sich dem zu entziehen. Oft ist der Sport das einzige, was sie haben. Wer offenlegt, vom Trainer missbraucht zu werden, bringt alles in Gefahr. Viele schweigen daher lieber.

Was raten Sie Eltern?

Wenn das Kind etwas andeutet, immer wieder nachfragen: Wie empfindest du das? Was sagen die anderen? Bist du alleine mit dem Trainer? Wenn man den Eindruck hat, bei dem Kind nicht weiter zu kommen, sollte man sich an den Verein wenden. Als Eltern klarmachen: Ich passe auf, mich interessiert, was hier passiert. Ich wäre zum Beispiel skeptisch, wenn der Trainer den Eltern verbietet, beim Training oder beim Wettkampf dabei zu sein. Das kann schon mal vorkommen, aber Eltern dürfen nicht generell ausgeschlossen werden. Es ist oft erstaunlich, was wir für ein hohes Vertrauen haben zu Trainern und Übungsleitern. Auch Trainerinnen können übrigens übergriffig werden, auch wenn das seltener vorkommt als bei Männern.

Was tut der organisierte Sport?

Die Deutsche Sportjugend gab zuletzt umfassende Empfehlungen an Verbände und Vereine, wie man Kinder und Jugendliche schützen kann. Da wurde viel auf den Weg gebracht. Das kommt aber nur langsam an der Basis an. 50 Prozent der Vereine halten das Thema für kaum relevant, gerade die kleinen, von Ehrenamtlichen geführten Klubs.

© SZ vom 20.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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