Sexuelle Nötigung:Es fehlt ein Paragraf für schamlose Übergriffe

  • Das Kanzleramt hatte einen Entwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts bislang blockiert. Jetzt soll er bis Mitte des Jahres verabschiedet werden.
  • Ohne körperliche Gewalt fehlt dem Gesetz bislang die Grundlage - eine Verurteilung ist dann nur wegen Nötigung möglich.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Natürlich kann man bisher nur spekulieren, die Details jener Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof werden erst allmählich bekannt. Aber in diesem Durcheinander aus sexuellen Übergriffen, Eigentumsdelikten und Körperverletzungen lässt sich leicht ein Szenario denken, das auf eine bizarre Lücke im Strafrecht hindeutet.

Angenommen, ein Täter hätte einer Frau an die Brust gegriffen, um die Schrecksekunde für den Diebstahl ihres Handys zu nutzen. Die Frau würde den unverschämten Griff vermutlich als mindestens so gravierend empfinden wie den Verlust ihres Mobiltelefons. Käme der Täter vor den Richter, hätte er aber wohl nur mit einer Verurteilung wegen Diebstahls zu rechnen; das Begrapschen würde wahrscheinlich nicht geahndet. Manche Gerichte haben solche Vorfälle zwar als Beleidigung der "Geschlechtsehre" eingestuft, was aber - es geht nicht um "Ehre", sondern um sexuelle Selbstbestimmung - eher ein Notbehelf war, um die Straflücke wenigstens irgendwie zu füllen.

Wo körperliche Gewalt fehlt, ist das Strafrecht zahnlos

Für Joachim Renzikowski, Professor für Strafrecht an der Universität Halle, zeigt dieser ausgedachte, aber seit den Kölner Ereignissen durchaus naheliegende Fall die "Ungereimtheit unserer Rechtsordnung". Der Angriff auf das Eigentum wird bestraft, die demütigende Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nicht.

Zwar wird es in Köln auch zu gewaltsamen Annäherungen gekommen sein: Ein Mann, der einer Frau mit festem Griff in den Schritt fasst und sie regelrecht festhält, muss mit einer Anklage wegen sexueller Nötigung rechnen. Dort liegt die Mindeststrafe bei einem Jahr - für einen Ausländer kann das die Ausweisung nach sich ziehen. Doch wo körperliche Gewalt fehlt, ist das Strafrecht einigermaßen zahnlos - an das bloße Überrumpeln der Opfer hat man bisher nicht gedacht.

Die Nachricht, dass es nun mit der geplanten Verschärfung des Sexualstrafrechts vorangeht, kommt daher zur rechten Zeit. Kurz vor Weihnachten, also vor den Vorgängen von Köln, ist der im Sommer 2015 vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums an Länder und Verbände geschickt worden, die bis Ende Februar Zeit für ihre Stellungnahmen haben.

Entwurf bislang blockiert

Das Kanzleramt hatte den Entwurf bisher blockiert. Man wolle das Gesetz nun bis Mitte des Jahres verabschieden, kündigt Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, an.

Dort ist ein neuer Paragraf 179 vorgesehen, für schamlose Übergriffe, wie sie übrigens auch von deutschen Bierfestbesuchern begangen werden - das lässt sich in den einschlägigen Polizeiberichten nachlesen. Wer sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt, die "aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist", würde danach mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft.

"Völlig stumpf ist das Strafrecht nicht"

Allerdings sind auch nach den derzeit geltenden Paragrafen Konstellationen vorstellbar, in denen die Täter - falls man sie überhaupt identifizieren kann - mit harten Strafen wegen sexueller Nötigung rechnen müssen. "Völlig stumpf ist das Strafrecht nicht", sagt Renzikowski.

Sollten sich im massenhaften Treiben am Bahnhof Gruppen gebildet haben, die ihre Opfer eingekreist haben, um deren ausweglose Lage für sexuelle Annäherungen zu missbrauchen - dann wären sie vermutlich im unmittelbaren Einzugsbereich der sexuellen Nötigung. Das wäre dann die große Münze des Sexualstrafrechts: Sexuelle Nötigung ist mit seiner einjährigen Mindeststrafe ein Verbrechen.

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