Süddeutsche Zeitung

Sexuelle Nötigung:Dieses Urteil trifft nicht nur Bill Cosby

Bill Cosby war moralische Instanz, nun ist er verurteilt worden. Das hat auch mit der "Me Too"-Bewegung zu tun. Wie in diesem Prozess mit den Opfern umgegangen wurde, ist allerdings perfide.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Es ist erstaunlich, wie tief einer fallen kann. Bill Cosby war gerade für schuldig befunden worden, im Jahr 2004 Andrea Constand sexuell missbraucht zu haben und der Staatsanwalt wollte ihn sogleich verhaften lassen, da brüllte Cosby, der während der kompletten Verhandlung geschwiegen hatte: "Du Arschloch!"

Cosby war nicht nur der Hauptdarsteller der erfolgreichen Familienserie "The Cosby Show". Er war reich, berühmt und mächtig in einer Zeit, in der Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten nicht reich, berühmt oder mächtig sein durften. Er war Vorbild und moralische Instanz, galt als "Vater der Nation", im patriarchischen Amerika ist das die Position zwischen Gott und dem Präsidenten. Das war die Fallhöhe.

Das Bild des verehrten Heiligen wurde bereits beim ersten Prozess zertrümmert. Damals kam heraus: Cosby hat seine Ehefrau Camille immer wieder betrogen. Er hat sich Schlafmittel besorgt, um mit jungen Frauen zu schlafen. Er hat seinen Finger in die Vagina von Constand gesteckt, ohne sich darum zu kümmern, ob sie das will. Auf eine Verurteilung konnten sich die Geschworenen damals allerdings nicht einigen. Es war ein Nichturteil, weil das amerikanische Recht bei Strafprozessen eine einstimmige Entscheidung vorschreibt.

Nun musste die Verhandlung neu geführt werden, die amerikanische Gesellschaft, in der sie geführt wurde, ist allerdings nicht mehr die Gleiche wie damals. Die Vorwürfe gegen berühmte Männer, die ihre Macht ausnutzten, wie etwa Filmproduzent Harvey Weinstein, haben im Herbst 2017 die "Me-Too"-Debatte ausgelöst. Eine Welle von Enthüllungen und Anschuldigungen gegen bekannte Persönlichkeiten aus dem Filmgeschäft aber auch aus anderen Bereichen war die Folge.

Ein Urteil, das nicht nur Bill Cosby betrifft

Das Urteil ist auch deshalb eine Botschaft, weil Bill Cosby der erste Prominente seit Beginn der "Me-Too"-Debatte ist, der strafrechtlich verurteilt wurde. Es ist ein Urteil, das offiziell nur ihn betrifft - und doch ist es ein Erdbeben, dessen Ausläufer auch sehr weit entfernt von diesem Gerichtsgebäude im US-Bundesstaat Pennsylvania zu spüren sein dürften.

Was von diesem Strafprozess im Gedächtnis bleiben wird, ist jedoch nicht nur das Urteil, sondern auch und vor allem der Umgang mit den mutmaßlichen Opfern. Und hier merkt man von einer veränderten Gesellschaft noch nichts. Es erfordert Mut, öffentlich über ein derart traumatisches Erlebnis wie sexuellen Missbrauch oder gar Vergewaltigung zu sprechen. Müssen sich die Zeuginnen also tatsächlich als aufmerksamkeits- und geldgeile Lügnerinnen, die "offensichtlich mit jedem Mann auf der Welt geschlafen" haben bezeichnen lassen, wie es in dem Prozess geschehen ist?

Welches Opfer will noch aussagen, wenn es fürchten muss, im Zeugenstand derart beschimpft und beleidigt zu werden? "Victim Shaming" wird es in den USA genannt, wenn dem Opfer ein Teil der Schuld aufgeladen wird: wegen der Kleidung, wegen des Verhaltens, oder auch nur deshalb, weil jemand nicht explizit "Nein" gesagt hat. Ein Anwalt muss seinen Mandanten verteidigen, gewiss, er darf dabei die Glaubwürdigkeit der Zeugen hinterfragen. Er darf jedoch nicht behaupten, dass eine Frau den Griff an die Innenseite des Oberschenkels als romantische Geste zu interpretieren habe. Das ist perfide, das ist unanständig.

Die Opfer eines Verbrechens müssen geschützt werden vor solch infamen Beleidigungen und hanebüchenen Anschuldigungen, es braucht ein "Victim Protecting". Zeuginnen müssen sich sicher und ernst genommen fühlen, wenn sie ihre Geschichte erzählen, bei Freunden, bei der Polizei, im Zeugenstand. Nur dann werden sie sich trauen, es auch weiter zu tun.

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