Süddeutsche Zeitung

Österreich:Faustschlag nach sexuellem Übergriff ist Notwehr

  • Die Staatsanwaltschaft Wien hat das Verfahren gegen eine 21-jährige Schweizerin eingestellt, die sich mit einem Faustschlag gegen einen sexuellen Übergriff gewehrt hatte.
  • Die Frau war in der Neujahrsnacht von einem Mann am Po berührt worden. Dass sie dagegen gewaltsam vorgegangen sei, falle unter den Notwehrparagrafen, so die Behörde.

Wie darf sich eine Frau, die sexuell belästigt wird, gegen den Täter wehren? Darüber hatten die Justizbehörden in Wien zu entscheiden. Die dortige Staatsanwaltschaft hat jetzt das Verfahren gegen eine 21-jährige Schweizerin eingestellt. Die Frau, die sich in der Silvesternacht 2018/2019 als Touristin in der österreichischen Hauptstadt aufhielt, hatte mit drei Freundinnen auf dem Rathausplatz gefeiert. Als sie plötzlich eine fremde Hand an ihrem Hintern spürte, verpasste sie dem unmittelbar hinter ihr stehenden Mann reflexhaft einen Faustschlag und brach ihm dabei die Nase. Der 20-Jährige soll zuvor auch andere Frauen bedrängt und gegen ihren Willen am Hintern berührt haben. Nach dem Faustschlag blutete er stark aus der Nase, wandte sich an die auf dem Platz postierten Security-Mitarbeiter und wurde in ein Krankenhaus gebracht.

Die Schweizerin zeigte den Mann nach der Tat wegen sexueller Belästigung an. Sie erhielt ebenfalls eine Anzeige, denn Körperverletzung ist nach österreichischem Recht (ähnlich wie in Deutschland) in den meisten Fällen ein Offizialdelikt, muss also von staatlicher Seite verfolgt werden, sobald die Polizei Kenntnis davon erlangt.

Der Fall hatte Anfang des Jahres in österreichischen Medien für Debatten gesorgt. In sozialen Medien beglückwünschten zahlreiche Menschen die Frau zu ihrer Gegenwehr und zeigten Unverständnis darüber, dass auch gegen sie ermittelt wurde.

Die Staatsanwaltschaft Wien hat nun entschieden, dass die von der Frau ausgeübte Gewalt legitim gewesen sei. "Ihr wurde gerechtfertigte Notwehr zugebilligt", teilte die Sprecherin der Anklagebehörde, Judith Ziska, der österreichischen Nachrichtenagentur APA am Dienstag mit. Die Frau habe in angemessener Weise einen Angriff auf ihre sexuelle Integrität und Selbstbestimmung abgewehrt, so die Staatsanwaltschaft.

Sexuelle Gewalt wird stärker geahndet

In Deutschland wurde bei der Reform des Sexualstrafrechts im November 2016 der Tatbestand der sexuellen Belästigung (Paragraf 184i StGB) neu in das Strafrecht aufgenommen und der Tatbestand der sexuellen Nötigung und des sexuellen Übergriffs (Paragraf 177 StGB) neu gefasst. Beide Änderungen waren unter Fachleuten bereits jahrelang diskutiert worden, die Reform stand jedoch unter dem Eindruck der Übergriffe in der Neujahrsnacht von Köln 2015/2016. Männer, die Frauen in einer Menschenmenge, zum Beispiel auf Volksfesten, an den Brüsten oder am Gesäß berührten, gingen zuvor häufig straffrei aus, weil der Straftatbestand der sexuellen Nötigung meist nicht erfüllt war. Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber zum Beispiel den Begriff des "Überraschungsmoments" eingeführt, der greift, wenn ein Täter in einer Menschenmenge gegen eine Frau übergriffig wird.

Ähnlich wie in Deutschland gab es auch in Österreich in den vergangenen Jahren Gesetzesreformen, um Gewalt gegen Frauen stärker zu ahnden. So wurde etwa der Tatbestand der "intensiven Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle" (§ 218 StGB Österreich) neu in das Strafrecht aufgenommen. Er greift, wenn eine Person von einer anderen am Gesäß berührt wird. Bis zur Gesetzesänderung im Jahr 2017 war eine solche Tat lediglich Teil des Verwaltungsstrafrechts, war also mit einer Ordnungswidrigkeit in Deutschland vergleichbar. Außerdem hat die österreichische Regierung den Notwehrparagrafen erweitert. Notwehr ist nicht nur gerechtfertigt, um eine Gefahr für "Leben, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit" abzuwenden, sondern auch bei einem Angriff auf die sexuelle Integrität. Exakt darauf bezog sich die Staatsanwaltschaft in Wien jetzt im Fall der Schweizerin.

Der Mann, der die Touristin in Wien attackiert haben soll, bleibt jedoch ebenfalls straffrei. In dem Verdächtigen, die den Polizei ermittelt hat, erkannte die Frau nicht mit Sicherheit den Täter wieder. Daher wurde auch das Verfahren gegen ihn eingestellt.

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