Süddeutsche Zeitung

Sexuelle Gewalt in Indien:Studenten entwickeln "wehrhafte Unterwäsche"

Elektroschocks und GPS-Ortung: Studentin Manisha Mohan hat mit zwei Kommilitonen Unterwäsche entwickelt, die Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen soll. Im Gespräch mit Süddeutsche.de erklärt sie, wie die ausgefallenen Dessous funktionieren.

Von Felicitas Kock

Als Mitte Dezember eine Studentin im indischen Delhi brutal vergewaltigt wurde und wenige Tage später ihren Verletzungen erlag, gingen Tausende Inder auf die Straße, um gegen sexuelle Gewalt zu demonstrieren. Die Tat löste eine Debatte über Frauenrechte aus, die Gesetze für Sexualstraftaten wurden verschärft. Das sei nicht genug, sagt die 20-jährige Manisha Mohan. Die Studentin der Ingenieurs-Wissenschaften hat gemeinsam mit zwei Kommilitonen Unterwäsche entwickelt, die Frauen vor sexuellen Übergriffen schützen soll. Für ihre Erfindung wurde sie mit dem Forscherpreis "Gandhian Young Technological Innovations Award 2013" ausgezeichnet.

Süddeutsche.de: Frau Mohan, haben Sie Angst, wenn sie allein in ihrem Wohnort Chennai unterwegs sind?

Manisha Mohan: Ich denke, es geht mir wie den meisten Frauen in Indien. Als Kind habe ich eine Mädchenschule besucht. Dort wurde mir beigebracht, dass ich immer freundlich lächeln und mich anmutig bewegen soll. Das ist so aber nicht umsetzbar. Stattdessen muss ich ständig aufpassen, dass mir niemand zu nahe kommt. Ich kann mich nicht frei und offen bewegen - vor allem nicht, wenn es draußen dunkel ist. Nach Mitternacht alleine das Haus zu verlassen, ist für Frauen in Indien eigentlich unmöglich.

Das klingt schrecklich.

Ja, das ist es auch. Wenn ich meine Familie im Norden des Landes besuche, fährt mich mein Vater überallhin, damit er mich in Sicherheit weiß. Aber irgendwann muss er mich zum Zug nach Chennai bringen und wenn er dann am Bahnsteig steht und mir nachschaut, sehe ich die Angst in seinen Augen.

Hat Sie das auf die Idee mit der Unterwäsche gebracht?

Das und der schlimme Vergewaltigungsfall in Delhi im Dezember. Irgendwie hat uns das wachgerüttelt - die extreme Brutalität, mit der die Männer die junge Frau angegriffen haben. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Ich habe mit vielen Freundinnen, Kommilitoninnen und Verwandten über das Thema gesprochen und jede war schon mindestens einmal in ihrem Leben mit sexueller Gewalt konfrontiert. Normalerweise bekommen die Opfer nur keine besondere Aufmerksamkeit. Die Übergriffe finden im Stillen statt, werden nicht zum Thema gemacht.

Für ihr "Society Harnessing Equipment (SHE)" haben Sie jetzt einen Innovationspreis erhalten. Wie soll ihre Erfindung helfen, Frauen vor Übergriffen zu schützen?

In die Unterwäsche sind Sensoren eingebaut, die auf Druck reagieren. Wird die Frau an der Brust angefasst - und dort fasst eigentlich jeder hin, der eine Frau unangemessen berühren will - wird ein Elektroschock ausgelöst. Außerdem wird automatisch eine SMS an die Polizei und an die Eltern gesendet. Da die Unterwäsche mit einem GPS-Sender ausgestattet ist, können sogar die Koordinaten des Ortes mitgeschickt werden, an dem sich die Frau befindet.

Und Sie denken, das hält einen möglichen Vergewaltiger davon ab, seinem Opfer etwas anzutun?

Die Stromschläge sind nicht gerade schwach. Ich selbst habe es ausprobiert und es hat ziemlich wehgetan. Man kann immer noch Spuren davon sehen. Wenn jemand nicht damit rechnet, werden ihm die plötzlichen Schmerzen einen riesigen Schreck einjagen. Und dann wird er von der Frau ablassen, da bin ich mir sicher.

Besteht keine Gefahr, dass die Frau auch etwas abbekommt?

Nein, die Unterwäsche besteht auf der Innenseite aus nicht-leitendem Stoff. Dieses Problem hatten wir relativ schnell gelöst. Viel schwieriger ist es, die Konstruktion noch etwas kleiner und waschbar zu machen - erst dann ist das Ganze wirklich alltagstauglich. Daran arbeiten wir gerade.

Und wie wird verhindert, dass jeder, der die Frau im Gedränge versehentlich berührt, einen Elektroschock bekommt? Ganz ungefährlich ist Ihre Erfindung ja nicht.

Es muss natürlich ein gewisser Druck ausgeübt werden, damit die Sensoren einen Stromschlag auslösen. Die Frau kann den Mechanismus auch abschalten. Das ist wichtig für Situationen, in denen sie beispielsweise von Kindern umgeben ist. Ich schalte meine Test-Unterwäsche tagsüber im Büro aus - erst wenn ich das Gebäude abends verlasse, knipse ich sie an. Und dann fühle ich mich wirklich sicher.

Kriegen Sie finanzielle Unterstützung für die Weiterentwicklung des Prototyps?

Bislang haben wir alles selbst gemacht. Ich war anfangs auch sehr schüchtern und habe mich mit dem Projekt nicht wirklich an die Öffentlichkeit getraut. Vom Staat werden wir nach wie vor nicht gefördert. Aber seitdem wir den Preis gewonnen haben, gibt es Investoren, die sich an der Weiterentwicklung beteiligen möchten - so dass wir die Unterwäsche hoffentlich bald in den Verkauf bringen können.

Und wie wird Ihre außergewöhnliche Idee von der Zielgruppe aufgenommen?

Sehr gut. Seitdem mehrere indische Medien über uns berichtet haben, wenden sich immer wieder Frauen an uns, um nachzufragen, wo sie die Unterwäsche kaufen können.

Eigentlich ist es ja traurig, dass es eine so hohe Nachfrage nach ihrer Erfindung gibt.

Das stimmt. Ich wünsche mir, dass irgendwann keine Frau mehr das SHE braucht, um sich frei bewegen zu können. Doch im Moment geht es nicht anders. Die Maßnahmen, die Politik und Justiz ergreifen, sind zu schwach, um uns vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Also müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.

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