Süddeutsche Zeitung

Sexualstrafrecht:Vielleicht kapiert ihr jetzt, dass ein Griff an den Hintern kein Kompliment ist

Die Gegner der jetzt beschlossenen Reform des Sexualstrafrechts haben drei Punkte ins Feld geführt. Einer ist Quatsch, einer unangenehm und der dritte ernst zu nehmen.

Kommentar von Tanja Rest

Nun hat der Bundestag die Verschärfung des Sexualstrafrechts also verabschiedet. Er setzt damit den Schlusspunkt hinter eine monatelange, zum Teil brüllend laute Debatte, die mal nicht nur in den Schwätzrunden des Fernsehens, den Denkstuben der Feuilletons oder auf dieser Seite hier geführt wurde, sondern tatsächlich auch in den Wohnzimmern.

Wie Meinungsbildung im besten Fall ablaufen kann: Hier wurde es vorexerziert. Alle Argumente kamen auf dem Tisch, die hysterischen, die akademischen, die chauvinistischen, die hardcore-feministischen; man entkam ihnen nicht, man musste in diesem Geflecht den eigenen Standpunkt fast schon zwangsläufig verorten. Vielen anderen Gesetzen, die das Leben nicht weniger beeinflussen, in Berlin aber durchgewinkt werden, ohne dass ein Hahn danach kräht, hätte man eine solche Debatte gewünscht.

Es besteht Grund zur Hoffnung, dass schon der Austausch von Argumenten etwas bewirkt hat. Dass mancher kapiert hat, dass ein Griff an den Hintern kein Kompliment ist und ein Nein kein Vielleicht. Die neuen Paragrafen 177 und 184i im Strafgesetzbuch geben hier lediglich ein Drohpotenzial hinzu: Wer jemanden gegen dessen "erkennbaren Willen" zum Sex nötigt, ist übergriffig und wird bestraft. Wer jemanden begrapscht, macht sich der sexuellen Belästigung schuldig und wird bestraft. Trotz aller Vorbehalte: Das war überfällig.

Sexualität setzt Einvernehmlichkeit voraus

Die Gegner der Reform haben besonders drei Punkte ins Feld geführt, von denen einer Quatsch ist, einer unangenehm und der dritte ernst zu nehmend. Quatsch ist, dass der flirrend irrationale Bereich der Erotik hier quasi zu Tode definiert werde. Denn eine für beide Seiten befriedigende Sexualität setzt Einvernehmlichkeit und gegenseitiges Vertrauen schließlich zwingend voraus. Im Sadomasochismus ist es sogar üblich, zulässige wie verbotene sexuelle Handlungen vorab schriftlich zu fixieren, ohne dass den Beteiligten dabei die Lust vergeht.

Unangenehm ist das von Feministinnen ins Feld geführte Argument, hier werde das Klischee der schwachen Frau, die das Begehren des Mannes grundsätzlich als Bedrohung empfindet, endgültig festgeschrieben. Da ist leider was dran. Weibliche Lust wurde zuletzt immer häufiger als etwas Aktives und Selbstbestimmtes wahrgenommen - nun stehen Frauen wieder als schützenswerte Wesen da, die ewig nicht wollen. Den Schutz des Gesetzgebers brauchen sie aber trotzdem. Es ist ein Dilemma wie bei der Quote: Frauen beanspruchen selbstbewusst Führungsaufgaben, doch manchmal brauchen sie eben Hilfe, um den Job zu bekommen. In beiden Fällen kann man eigentlich nur sagen: Augen zu und durch.

Der dritte Punkt ist der heikelste und auch der Grund dafür, dass Euphorie nicht wirklich aufkommen will. Ja sicher, man wird bei einer Vergewaltigung künftig nicht mehr auf den Täter einprügeln, davonlaufen oder um Hilfe schreien müssen, damit die Anklage vor einem Gericht Bestand hat. Wie aber soll ein Opfer beweisen, dass es "erkennbar" keinen Sex wollte? Wie soll man einem Beschuldigten nachweisen, dass er das Nicht-Wollen erkannt und ignoriert hat? Im Fall Gina-Lisa Lohfink ist ein "Nein" sogar in einem Video dokumentiert, und dennoch ist es höchst fraglich, ob da eine Vergewaltigung zu sehen ist oder nicht. Die Suche nach der Wahrheit bleibt genauso schwierig, wie sie immer war.

Man kann nicht ausschließen, dass es zu Fehlurteilen kommen wird

Absurd ist das vielfach heraufbeschworene Szenario, in dem ein Haufen intriganter Furien nun unschuldige Männer der Vergewaltigung bezichtigen und damit durchkommen werden. Das zeugt von einem jämmerlichen Vertrauen in die Justiz; das verkennt auch, dass die "Beweislast" nach wie vor beim Opfer liegt und ein Vergewaltigungsprozess eine Psycho-Tortur ist, der sich niemand gerne aussetzt. Richtig ist aber auch: Man kann nicht ausschließen, dass es zu falschen Anschuldigungen und vereinzelt auch zu Fehlurteilen kommen wird. Dies allerdings gilt nicht nur für Paragraf 177, sondern für das ganze Spektrum des Strafrechts.

Am Ende ist es eine Abwägungssache. Denn was wäre die Alternative: Dass ein Täter nur ist, wer eine Waffe in der Hand hält oder wer sein strampelndes Opfer in einer dunklen Gasse überwältigt? Dass Grapscher Intimsphären verletzen, nicht aber das Recht?

Das neue Sexualstrafrecht ist ein Gesetz auf Bewährung. Dass es den einen zu lasch und den anderen zu scharf geraten ist, spricht eigentlich dafür, dass es mit Vernunft und Augenmaß erstellt wurde - unter dem Eindruck der Silvesternacht von Köln und der heftigen öffentlichen Debatte, aber nicht korrumpiert davon. Die Alternative wäre der Status quo. Und den kann keiner ernsthaft wollen.

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SZ vom 08.07.2016/fie
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