Sexualstrafrecht:Nein heißt ... was denn eigentlich?

Demonstration - ´Nein heißt Nein"

Frauenverbände haben die Reform des Sexualstrafrechts schon jahrzehntelang gefordert.

(Foto: dpa)

Der Grundsatz "Nein heißt Nein" wird im Strafgesetzbuch verankert. Doch was ändert sich dadurch überhaupt? Uneindeutige Beweislagen jedenfalls nicht.

Von Tanja Mokosch

Das Sexualstrafrecht wird reformiert und ein "Nein" ist dann auch rechtlich ein "Nein". Endlich? Eine Errungenschaft für die sexuelle Selbstbestimmung - feiern die einen. Die nachträgliche Kriminalisierung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs - fürchten die anderen. Medienwirksame Einzelfälle verzerren das Bild von dem, was sich tatsächlich in Gerichtssälen abspielt - oder auch nicht. Denn die meisten Fälle von sexueller Nötigung werden ohnehin nie zur Anzeige gebracht.

Was kann das neue Gesetz leisten? Wo bleibt es machtlos? Und was haben Gina-Lisa Lohfink, Jörg Kachelmann und die Opfer der Übergriffe der Kölner Silvesternacht damit zu tun?

Der alte Paragraf und der Vergewaltigungs-Mythos

Größter Kritikpunkt am alten Sexualstrafrecht waren sogenannten "Schutzlücken". "Nein heißt Nein"-Befürworter sagen, das Gesetz würde den Situationen, in denen die meisten Übergriffe stattfinden, nicht gerecht. Für eine Vergewaltigung musste einer der folgenden Tatbestände vorliegen: der Täter musste Gewalt anwenden oder mit Gewalt im direkten Zusammenhang mit der sexuellen Handlung drohen. Oder das Opfer musste sich in einer schutzlosen Lage befinden. Das Gesetz ging von Vergewaltigungsszenarien aus, die in der Realität selten vorkommen, etwa von einem Überfall nachts in einem dunklen Park. Und: Das Opfer muss die sexuelle Selbstbestimmung körperlich verteidigen, damit es später im Prozess überhaupt eine Chance hat.

Tatsächlich finden die meisten sexuellen Übergriffe im familiären Umfeld oder im Freundeskreis statt - oftmals ohne, dass der Täter körperliche Gewalt anwenden muss. Viele Frauen befinden sich in einer Art Schockstarre und können sich nicht wehren. Andere fürchten, durch Gegenwehr noch schlimmere Verletzungen zu erleiden. Studien zeigen, dass weit mehr als die Hälfte aller Frauen im Fall eines sexuellen Missbrauchs oder einer Nötigung mit Bewegungsunfähigkeit, Erstarren, Widerstandslosigkeit oder gänzlich unlogischen Handlungen reagiert.

"Das wird nicht unbedingt zu mehr Verurteilungen führen"

Rein formal kann mit der Reform künftig nicht mehr nur jeder verurteilt werden, der eine andere Person mit Gewalt zu sexuellen Handlungen zwingt oder ihren Widerstand überwindet, indem er ihr Leben bedroht. Mit der Reform kann ein Angeklagter auch verurteilt werden, wenn das Opfer sich nicht aktiv wehrt, aber verbal widerspricht oder anders deutlich macht, dass es nicht einverstanden ist, zum Beispiel durch Weinen. Das neue Gesetz soll außerdem greifen, wenn jemand überrumpelt wird, vor Angst erstarrt oder auf Widerstand verzichtet, weil sonst schwerere Verletzungen drohen. Handlungen "gegen den erkennbaren Willen", so heißt es im Entwurf, werden bestraft. So wird die Schutzlücke auf dem Papier geschlossen.

"Das wird nicht unbedingt zu mehr Verurteilungen führen", sagt Dagmar Freudenberg, Vorsitzende der Kommission Strafrecht des Deutschen Juristinnenbundes. "Die strafprozessualen Grundprinzipien, also die Unschuldsvermutung und der notwendige hinreichende Tatverdacht bleiben erhalten." In der Beweissituation würde also keine wesentliche Veränderung eintreten.

Errungenschaft oder Symbol von Aktionismus?

Das Model Gina-Lisa Lohfink wurde in der Debatte um den neuen Paragrafen, ob nun zu Recht oder nicht, bisweilen als Galionsfigur gefeiert. Neben ihrem umstrittenen "Nein" - es ist nicht klar, ob es dem Geschlechtsverkehr oder Videoaufnahmen galt - spielen in ihrem Fall große Mengen von Alkohol eine Rolle. Auch mutmaßte Lohfink, man habe ihr möglicherweise K.-o.-Tropfen verabreicht. Inwiefern könnte die Reform in so einem Fall greifen? "Die Neufassung über den körperlichen oder psychischen Zustand bietet eine Lösungsmöglichkeit an", sagt Freudenberg. Hierzu soll es im neuen Paragraf 177 lauten: "Ebenso wird bestraft [...] wenn der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern." Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn das Opfer stark alkoholisiert sei oder unter Drogen steht.

Ob das für eine Verurteilung des mutmaßlichen Täters reiche, sei immer eine Frage des Nachweises. "Wenn es um K.-o.-Tropfen geht, ist das sehr schwierig, weil die nur eine kurze Zeit nachweisbar sind", sagt Freudenberg. Zum Fall von Gina-Lisa Lohfink will sich Freudenberg nicht äußern, da sie die konkreten Umstände nicht kenne.

Dennoch sieht die Juristin die Reform als Errungenschaft und nicht, wie viele Kritiker, als reinen Aktionismus: "Wir machen deutlich, dass der freie Wille eines Menschen geachtet wird. Das ist ein ganz wesentlicher Schritt. Dafür hat der Deutsche Juristinnenbund jahrzehntelang gekämpft."

"Nur" Grapschen war bislang nicht strafbar

Ein weiterer Absatz im neuen Paragrafen soll das "Grapschen" verbieten. Das bloße Anfassen intimer Körperteile ohne jegliche Anwendung, Androhung von Gewalt, Nötigung oder zusätzlicher Beleidigung war bislang nicht strafbar. Der Zusatz soll also Übergriffe abdecken, in denen sich die Täter ein Überraschungsmoment zunutze machen: in der U-Bahn, auf Plätzen bei großen Menschenansammlungen - wie in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. Im Strafgesetzbuch soll das künftig so klingen: "Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt (...)", dem drohe die entsprechende Strafe. "Wenn jemand mir in den Po kneift und sagt 'Was ist das für ein knackiger Hintern?', war das bislang nicht strafbar", sagt Freudenberg. "Dieser Tathergang wird jetzt als 'tätliche sexualisierte Belästigung' strafbar gemacht."

Außerdem wird mit der Reform der Tatbestand "sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe einzelner Täter aus einer Gruppe heraus" eingeführt - eine weitere Reaktion auf die durch die Silvesternacht in Köln bekannt gewordene "Antänzer"-Masche. Auch wer als Teil einer Gruppe nur zusieht, wie andere ein Opfer "begrapschen" und selbst keine sexuellen Handlungen durchführt, muss künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

Ob mit diesem Zusatz die mutmaßlichen Täter der Silvesternacht leichter hätten verurteilt werden können? "Da ich die Fälle im Einzelnen nicht kenne, kann ich das nicht beurteilen. Ich kann nur sagen: Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, wohl ja", sagt Freudenberg. Sie bezieht sich vor allem auf den Tatbestand des "Grapschens". Handlungen aus der Gruppe heraus, meint sie, hätte man, sofern sie das nach Medieninformationen zur Silvesternacht beurteilen könne, eventuell auch über den Strafbestand der Mittäterschaft verurteilen können.

Der Grundtatbestand kommt

Nach der Reform baut das Sexualstrafrecht jetzt also auf ganz konkreten Szenarien auf: Diesmal sind es nicht die Mythen der Vergewaltigung durch Fremde in einem verlassenen Waldstück, sondern Ereignisse aus jüngster Vergangenheit, die die Basis bilden und den Prozess nicht unmaßgeblich beschleunigt haben. Und: Ein Grundtatbestand werde eingeführt, sagt Freudenberg. Den, so lautete die Kritik der "Nein heißt Nein"-Befürworter, habe es im alten Paragrafen und in früheren Entwürfen nicht gegeben.

Bleibt die Frage: Müsste man nicht die sexuelle Selbstbestimmung an sich schützen? Diejenigen, die schon seit Jahren für eine Reform kämpfen, kritisieren sinngemäß, es würden kaputte Ziegel ausgetauscht, während der Dachstuhl vor sich hin faulte. Der neue Dachstuhl für den neuen Paragrafen 177 soll aber kommen und lautet voraussichtlich so: "Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."

Gefahr durch mehr Falschanzeigen?

"Nein heißt Nein"-Gegner warnen vor allem vor Kriminalisierung. Wer fälschlicherweise einer Vergewaltigung beschuldigt wird, hat oft auch im Fall eines Freispruchs mit den sozialen Konsequenzen zu kämpfen. Ein Szenario, für das gerne der Fall des Moderators Jörg Kachelmann verwendet wird. Ihm wurde von einer Ex-Geliebten vorgeworfen, sie vergewaltigt zu haben. Kachelmann wurde freigesprochen. Dennoch kämpft er in der Öffentlichkeit noch immer gegen das Vergewaltiger-Stigma.

Tatsächlich ist die Zahl der Falschanzeigen bei Vergewaltigungen bislang gering. Eine Studie von 2009 geht in Deutschland von drei Prozent aus. Ein Abschlussbericht zur "Untersuchung zu Verfahrensverlauf und Verurteilungsquoten bei Sexualstraftaten" der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen kommt auf weniger als zehn Prozent. Könnte die Zahl mit der Reform steigen? Freudenberg meint: "Bewusste Falschanzeigen gab es immer, die wird es auch in Zukunft geben. Das ist von der Reform unabhängig."

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