Süddeutsche Zeitung

Sexismus:"Natürlich ist das in Deutschland genauso!"

Hollywood ist überall: Regisseurin Anika Decker über alltägliche sexuelle Übergriffe in der deutschen Filmbranche und warum sie manchmal lieber ein Mann gewesen wäre.

Von David Pfeifer

Manchmal rollt eine Geschichte auf dem Konferenztisch herum wie eine entsicherte Handgranate. Die Harvey-Weinstein-Enthüllungen und die anschließende #MeToo-Diskussion war so eine Geschichte. Aber irgendwann, nachdem alle Aspekte hoch und runter diskutiert worden sind und das Thema immer noch herumrollt, nimmt es ein Kollege auf und stellt die sehr einfache und berechtigte Frage: Wie ist das eigentlich in Deutschland in der kreativen Branche?

Anika Decker, 42 Jahre alt, Regisseurin und Drehbuchautorin, ruft sofort zurück, das Thema ist ihr wichtig. "Natürlich ist das in Deutschland genauso! Und das ist mir selbstverständlich auch schon passiert. Ich bin halt blond, habe große Hupen und kleide mich gerne sexy. Heute werde ich in Ruhe gelassen, weil ich in einer guten Position bin, und vielleicht hilft auch das Alter. Es sind ja immer sehr viel ältere Männer, die sich an sehr junge Frauen ranmachen."

Decker hat als Produktionsassistentin angefangen, "am Anfang ist man wehrlos, das vierte Mädchen links hinten. Ich habe immer dumme Sprüche gehört. Die Branche ist natürlich brandgefährlich, weil die Grenze zwischen Privatem und Beruflichem verwischt und man häufig irgendwelche Feste besucht, bei denen Alkohol getrunken wird. Ich habe Mal mit einem Studioboss im Aufzug gestanden, der plötzlich auch ganz müde wurde, als ich ins Bett wollte. Als die Türen sich schlossen, hat er sich an mich rangemacht. Der Mann war etwa 30 Jahre älter als ich und würde, wenn man ihn fragt, sicher ein Fanal für die Gleichberechtigung setzen und erzählen, wie sehr er seine Frau liebt."

Männer, die "Arsch und Titten" bei Schauspielerinnen sehen wollen

Wer Anika Deckers Filme kennt, weiß, dass an anzüglichen Witzen darin nicht gespart wird, "und so habe ich mich auch in den ersten Jahren beim Film immer gerettet - mit einem Witz." Heute ist Anika Decker eine der wenigen deutschen Filmemacherinnen, die an der Kasse Erfolg haben, wobei man das eigentlich genderneutral formulieren müsste - weil sie auch einer der wenigen erfolgreichen Filmemacher ist. Sie schrieb das Drehbuch zu den Till-Schweiger-Hits "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" sowie zu "Rubbeldiekatz". Danach kam der Durchbruch als Regisseurin, 2014 mit "Traumfrauen", mit über 1,7 Millionen Kinobesuchern, dann mit "High Society", der auf Platz eins in den Kino-Charts einstieg und derzeit in der sechsten Woche läuft.

Sexuelle Übergriffe, Belästigungen, das ist auch in der deutschen Filmbranche Alltag, "seit Tagen denke ich bei jeder neuen Weinstein-Meldung, bei jedem Tweet: ja, kenne ich, das ist hier doch ganz genau so. Aber Hollywood ist eben viel größer, und wenn ein Superstar wie Jennifer Lawrence erzählt, wie es ihr erging, dann hat das etwas Befreiendes." Unter den Kolleginnen gebe es kaum ein anderes Thema, sagt Decker. "Ich bin die erste, die gerne Sexwitze reißt. Aber die ersten zehn Jahre beim Film wäre ich gerne ein Mann gewesen. Das hätte vieles leichter gemacht."

Decker ist im eigentlichen Sinn Autorenfilmerin, sie schreibt ihre Vorlagen selber, sie entwickelt die Charaktere. Sie dreht leichte Komödien, die um große und kleine Probleme von Frauen kreisen, Decker kleidet dabei gerne mal eine harte Wahrheit in einen federnden Gag. Lustig ist nur, was auch ein bisschen weh tut. Das müssen ihre Hauptdarstellerinnen natürlich auch rüberbringen können, da geht es um Timing und Präzision. Leichte Unterhaltung ist bekanntlich schwer herzustellen. "Das Kuriose ist, auch heute noch, wenn ich die Besetzung meiner Filme bespreche, habe ich immer wieder Diskussionen mit Männern, ob diese oder jene Schauspielerin nun sexy genug aussieht, man wolle doch bitte Titten und Arsch sehen. Dabei ist das wirklich völlig egal, zumal bei meinen Filmen."

"Die Ohnmacht der einen ist die Macht des anderen"

Gegenfrage: Gibt es nicht auch genügend junge Frauen, die versuchen, mit einem Flirt auf sich aufmerksam zu machen? "Das kommt schon vor", sagt Decker, "aber deswegen darf man die ja wohl noch nicht übel anmachen. Das besonders Gemeine an der Filmbranche: Es wird auf Kumpel getan, dabei ist ganz klar, wer die Macht hat. Und ich glaube, bei den Übergriffen geht es immer um Macht. Es geht nicht darum, eine schöne Frau ins Bett zu kriegen, sondern eben genau um die wehrlose Assistentin, die Jungschauspielerin - und die dazu zu bekommen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht tun möchte - um sich selber der eigenen Macht zu versichern. Die Ohnmacht der einen ist die Macht des anderen. Und das kennt fast jede Frau in der Branche."

Also schwärmen einige Kollegen aus, suchen nach bekannten Schauspielerinnen, die etwas sagen können, und schnell zeigt sich: Decker hat recht, dazu können viele etwas sagen. Und sie möchten auch gerne etwas sagen. "Das, was da momentan alles an die Oberfläche kommt, ist nicht überraschend", sagt Anika Decker, "aber tröstlich. Weil es die Hoffnung weckt, dass es zumindest in Zukunft eine soziale Ächtung geben könnte, wenn Männer sich so verhalten. Bei mir persönlich ist das natürlich alles viel besser geworden, seitdem ich in einer Position bin, die besser und gefestigter ist. Aber das finde ich eigentlich auch scheiße, für die ganze Gesellschaft. Das ist nur für mich gut, nicht für die Frauen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3717460
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/ees
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.