- Der Deutsche Ethikrat hält das Inzestverbot unter Geschwistern für nicht mehr zeitgemäß.
- Anlass für die Entscheidung des Beratergremiums war der Fall eines Geschwisterpaares aus Sachsen, das gemeinsam vier Kinder gezeugt hatte.
Inzest unter Geschwistern soll nicht mehr bestraft werden
Sexuelle Beziehungen unter Geschwistern sollen der Empfehlung zufolge künftig nicht mehr strafrechtlich geahndet werden. Der Deutsche Ethikrat, ein von der Bundesregierung beauftragtes Beratergremium von Wissenschaftlern und Experten aus Naturwissenschaft, Medizin, Philosophie, Rechtswissenschaft und Theologie, empfiehlt, den entsprechenden Passus in Paragraf 173 des Strafgesetzbuches abzuschaffen. Die Mehrheit der 26 Mitglieder des Ethikrates habe einem entsprechenden Beschluss zugestimmt, heißt es in einer Stellungnahme ( hier das vollständige Dokument als PDF).
Der Anlass für die Beratungen des Ethikrates
Schlagzeilen gemacht hatte vor einigen Jahren der Fall eines Halbgeschwisterpaares aus Sachsen, das sich im Erwachsenenalter kennengelernt hatte, eine Beziehung einging und gemeinsam vier Kinder zeugte. Der Mann wurde wegen Beischlafs mit einer Blutsverwandten zu mehreren Haftstrafen verurteilt. Seine Klage gegen ein Verbot des Inzests scheiterte jedoch sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 als auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zwei Jahre später.
Wie der Ethikrat in seiner Stellungnahme schreibt, habe das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung allerdings nur festgelegt, dass das Inzestverbot in Deutschland grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Die Richter hätten damit nichts über die Sinnhaftigkeit eines solchen Verbots gesagt. Vor diesem Hintergrund habe der Ethikrat geprüft, ob aus ethischen Gründen eine Änderung der derzeitigen Rechtslage empfehlenswert ist.
Die Begründung des Ethikrates
Für ihre Empfehlung, sexuelle Beziehungen zwischen Geschwistern nicht mehr unter Strafe zu stellen, führen die Experten vor allem zwei Argumente an: Erstens sei die Mehrheit des Deutschen Ethikrates der Auffassung, dass das Strafrecht "nicht das geeignete Mittel sei, um ein gesellschaftliches Tabu zu bewahren". Das Strafrecht habe "nicht die Aufgabe, für den Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen durchzusetzen".
Außerdem, so das zweite Argument, sei der Geschwisterinzest, nach allen Daten, die darüber vorliegen, auf sehr wenige Einzelfälle beschränkt. Dabei gehe es nahezu ausschließlich um Fälle, in denen Halbgeschwister nicht gemeinsam aufgewachsen seien und sich erst im Erwachsenenalter kennengelernt hätten. Die Betroffenen sähen sich angesichts der Strafandrohung in einer Zwangslage, die ihnen keine andere Wahl lasse, als ihre Liebe zu verheimlichen oder zu verleugnen.
In solchen Fällen - also dann, wenn volljährige Geschwister einvernehmliche Beziehungen miteinander führten - sei das Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung stärker zu gewichten als der Schutz der Familie. Selbst wenn aus der Geschwisterbeziehung Kinder hervorgingen oder es durch die Beziehungen negative Auswirkungen auf die Familie gebe, könne dies ein strafrechtliches Verbot nicht rechtfertigen.
Auf Inzest zwischen Eltern und volljährigen Kindern ging der Ethikrat in seiner Stellungnahme explizit nicht ein. Zudem beziehe sich die Forderung, den Inzestparagrafen zu ändern, nur auf einvernehmliche Beziehungen, heißt es in der Pressemitteilung. Kindesmissbrauch, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder "die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen, Zwangslagen oder fehlender sexueller Selbstbestimmung" seien selbstverständlich auch unter Blutsverwandten unter Strafe zu stellen.