Selbstfahrende Taxis:Maschine mit Mensch

Selbstfahrende Taxis: Der dunkle Kia fährt im Seouler Stadtteil Sangam als eines von drei autonomen Testtaxis.

Der dunkle Kia fährt im Seouler Stadtteil Sangam als eines von drei autonomen Testtaxis.

(Foto: 42dot)

In Seoul kann man über eine App autonome Taxis bestellen. Aber selbst im experimentierfreudigen Südkorea lässt man Autos nicht einfach selbst losfahren. Eine Probefahrt.

Von Thomas Hahn, Seoul

Das Gehirn ist im Kofferraum. Jeong Seong-gyun geht um den dunklen Kia herum, der im Seouler Stadtteil Sangam an einer ruhigen Straße parkt. Er öffnet den Kofferraum und zeigt auf die kleine Öffnung im Boden, in der eine verkabelte Computerplatte zu sehen ist. "Das ist das System, das wir für das autonome Fahren entwickelt haben, es funktioniert vollkommen unabhängig vom ursprünglichen Auto", sagt Jeong. Er lädt ein, im Auto Platz zu nehmen. Die Fahrt mit dem selbstfahrenden Taxi kann beginnen.

Fahren ohne Fahrer - ist das eine gute Idee? Jeong Seong-gyun, Chef für autonomes Fahren beim südkoreanischen Start-up 42dot, findet schon, sonst wäre er nicht Teil dieses kommerziellen Pilotprojekts, das die südkoreanische Regierung unterstützt. Aber die Frage muss er ernst nehmen. Zweifel und Ängste gehören schließlich zum Aufbruch in eine neue Zeit dazu, so war es schon 1886, als der Maschinenbauer Carl Benz in Mannheim das erste funktionstüchtige Fahrzeug mit Verbrennungsmotor vorstellte, ein knatterndes Dreirad, das mit Waschbenzin gegen Flecken aus der Apotheke funktionierte. Es galt zunächst als Sicherheitsrisiko, weil die Kutschpferde vor dem Gefährt scheuten. Erst als die Benz-Gattin Bertha damit im August 1888 unfallfrei von Mannheim nach Pforzheim gefahren war, wurden die Vorbehalte weniger. Benz' Firma Benz & Cie expandierte, fusionierte - und heute gehört das Nachfolge-Unternehmen Mercedes-Benz-Group zu einer riesigen Industrie, die an der nächsten Generation des Automobils arbeitet. Ohne Verbrennungsmotor. Und ohne Fahrer.

Das autonome Fahren gilt als die Zukunft des sogenannten motorisierten Individualverkehrs. Konzerne auf der ganzen Welt forschen an Lösungen dafür. Und in Südkorea, wo Hightech zum nationalen Selbstverständnis gehört, will man unbedingt Vorreiter sein. Aber nicht einmal in dem experimentierfreudigen Land darf man Autos einfach selbst losfahren lassen. Hinter dem Lenkrad muss eine Person sitzen, die notfalls eingreifen kann. Das ist Gesetz. Also nimmt Jeong Seong-gyun auf dem Fahrersitz Platz und lässt den Motor an. An die Rücklehnen der Vordersitze sind Bildschirme montiert, auf denen man von hinten verfolgen kann, wohin das Taxi fährt. Auch der Bildschirm am Armaturenbrett ist ungewöhnlich groß. Ansonsten sieht alles aus wie in einem normalen Elektroauto. Aber das Taxi ist kein normales Auto.

Das Lenkrad schlägt ein, als würde eine unsichtbare Hand es führen

"Wenn ich diesen Knopf drücke, wechselt der Wagen in den Selbstfahrmodus", sagt Jeong. Er berührt ein kleines Quadrat auf dem Bildschirm und legt die Hände in den Schoß. Das Taxi fährt auf eine Rechtskurve zu. Das Lenkrad schlägt ein, als würde eine unsichtbare Hand es führen. Auf der Geraden beschleunigt der Kia, reiht sich ein in den ruhigen Vormittagsverkehr, blinkt, wartet, bis die Gelegenheit zum Spurwechsel da ist, beschleunigt wieder.

Selbstfahrende Taxis: Jeong Seong-gyun ist Chef für autonomes Fahren beim südkoreanischen Start-up 42dot.

Jeong Seong-gyun ist Chef für autonomes Fahren beim südkoreanischen Start-up 42dot.

(Foto: Thomas Hahn)

"Das Auto hat sieben Kameras und fünf Radare", sagt Jeong, sie verleihen dem Taxi seine Sinne. Es sammelt damit Informationen über Ampeln, Verkehrsschilder und Abstände zu anderen Verkehrsteilnehmern, die es über sein Computerprogramm zu Entscheidungen über Abbiegen, Anhalten oder Losfahren verarbeitet. Das Auto ist ein Roboter auf Rädern, der darauf programmiert ist, sich unfallfrei durch den Verkehr zu tasten. 88,5 Millionen US-Dollar hat das Start-up 42dot seit seiner Gründung 2019 bei Investoren gesammelt, um die Technologie zu verfeinern. Ingenieure verschiedener Fachrichtungen haben daran gearbeitet, bis die Stadt Seoul sie genehmigte und Ende November 2021 der Feldversuch in Sangam mit drei Wagen beginnen konnte. Seither kann man hier über eine App die autonomen Taxis bestellen.

Sangam ist ein Neubaugebiet im Westen Seouls. Parkanlagen. Apartment-Hochhäuser. Kühn gestaltete Geschäftsgebäude. Und: breite Straßen. Südkoreas Regierung hat den Stadtteil offiziell als Testgebiet für autonomes Fahren ausgewiesen. Sie will, dass die heimische Industrie beim autonomen Fahren den Fortschritt prägt. Unter der Bedingung, die auch die Vereinten Nationen zum autonomen Fahren stellen: Sicherheitsrisiken müssen ausgeschlossen sein.

"Wir haben das Taxi sehr konservativ programmiert", sagt Jeong, als der Kia die Parkanlagen passiert, "es gewährt immer erst mal die Vorfahrt." Seine Kollegen und er hätten aus dem Kia auch einen Verkehrsrowdy machen können. Aber dann würde das Projekt scheitern. Wenn sich der Roboter zum Beispiel nicht an das Tempolimit von 50 Stundenkilometern hielte, wäre er seine Fahrerlaubnis schnell los. "Wir dürfen keinen Unfall bauen", sagt Jeong.

So ganz will der Mensch die Maschine noch nicht ans Steuer lassen

Das Taxi hält an einer Ampel. Grün. Die Fahrt geht weiter. Plötzlich spricht das Auto. Eine freundliche Männerstimme warnt vor etwas. Jeong übernimmt das Steuer. "Hier ist eine Schule", sagt er, "zum Schutz der Kinder erlaubt die Regierung hier das autonome Fahren nicht." Unter anderem deshalb braucht das selbstfahrende Taxi immer noch einen Taxifahrer. In den gekennzeichneten Schutzzonen muss er das Lenkrad übernehmen.

So ganz will der Mensch die Maschine noch nicht ans Steuer lassen. Zu Recht? Ist der Roboter nicht der bessere Autofahrer als der Mensch mit seiner natürlichen Unaufmerksamkeit und Selbstüberschätzung?

Ingenieur Jeong kann keine unfallfreie Zukunft garantieren. Wenn plötzlich ein Kind im toten Winkel auf die Straße läuft, kann auch ein Roboter nicht rechtzeitig bremsen. "Aber ich denke schon, dass die Zahl der Unfälle sinken würde, denn manche Fehler macht die Maschine nicht mehr, zum Beispiel beim Fahren aufs Handy zu schauen." Technisch gesehen findet er es nicht nötig, an Schulen den Selbstfahrmodus auszuschalten. Aber es geht ja nicht nur um Technik. "Es ist eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz."

Nach der Fahrt durch Sangam sagt Jeong Seong-gyun: "Wenn sich das Taxi hier bewährt, können wir es auch anderswo einsetzen, in Korea oder weltweit." Das Infrastruktur-Ministerium hat in Südkorea insgesamt sieben Testzonen für autonomes Fahren vorgesehen. Bis 2025 sind 17 weitere geplant. Nach und nach soll sich der Straßenverkehr ändern. Ob es klappt, liegt auch an den menschlichen Verkehrsteilnehmern. "Wir haben sehr aggressive Autofahrer in Korea", heißt es bei 42dot. Wenn die ständig die braven Roboter anfahren, könnte es schwierig werden mit der Automobilrevolution.

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