Süddeutsche Zeitung

Selbstversuch:Weck den Magier in dir!

Der neue Harry Potter kommt! Doch gezaubert wird nicht erst seit Joanne Rowling.

Von Nicola Holzapfel

Es ist einem nicht immer nach Zaubern zumute. Selbst wenn die Möglichkeiten dazu da wären. Und so war es zwar sehr nett, als wir unseren ersten Zauberkasten kauften, um den Wirkungen Harry Potters auf die Spur zu kommen - das Wetter war herrlich und wir hatten einen Anlass für einen kurzen Moment den Zwängen des Bildschirmarbeiterdaseins zu entfliehen -, aber dann stand der Kasten im Regal.

Dabei gäbe es vieles, was man gerne her- oder wegzaubern möchte. Allerdings fallen einem zur Zeit mehr Kandidaten zum Wegzaubern ein: Betriebsräte mitsamt ihren Brasilianierinnen, Kopfschmerzen bei Föhn (das kennen nur Münchner), Merkels Mehrwertsteuererhöhungspläne.

Das geht leider nicht. Große Zauberei findet nur auf der Bühne statt. Dort machen dann souveräne Verführer viel Show, um über ihre billigen Tricks hinwegzutäuschen. Wir denken gerade nicht an die Politik, sondern an David Copperfield: Lange Jahre verdankte er einen großen Teil seiner Faszination der Tatsache, dass er mit Claudia Schiffer verbandelt war. Schließlich musste er hilflos zusehen wie ihm ein Kunsthändler die blonde Projektionsfläche ausspannte.

Ein Kunsthändler, naja. Zauberer sind eben auch nur Menschen bei der Arbeit. Und die ist ernst, hart und basiert wie so vieles im Berufsleben offenbar mehr auf dem Wie als dem Was. Das steht zumindest in der Anleitung für Zauberlehrlinge.

Wir haben in den Kasten schließlich doch hineingeschaut. Immerhin verspricht er Zaubertricks, die funktionieren. Aufgeklappt macht er nicht viel her: 19 Plastikutensilien für 19 Tricks, wovon uns der Erste auf Anhieb gelingt. Wir können jetzt einen Zauberstab aus dem Ärmel schütteln - zumindest solange wir kein T-Shirt anhaben. Schon die Nummer Zwei im Programm ist knifflig: Wir üben und üben, einen Knoten auf überraschende Weise verschwinden zu lassen. Seltsamerweise ist die Überraschung dabei viel schwerer als das Verschwinden. Das ist echte Zauberei. Ansonsten wissen wir jetzt: Wenn Tricks undurchschaubar scheinen, gibt es einen Gehilfen und Mitwisser, von dem das Publikum nichts ahnt.

Alleine ist der Zauberer eben nichts. Er braucht seine Zuschauer, und die sein Herrschaftswissen. Harry Potter hat dafür seine Leser, und die haben Joanne Rowling, um sich aus dem Alltag zaubern zu lassen. Folge um Folge beweisen die Engländerin und ihre Marketingstrategen, dass die Wirkung ihrer Verführungskünste in der richtigen Dosierung und im geschickten Umgang mit den menschlichen Leidenschaften liegt, der Neugier, der Sensationslust, dem Haben wollen.

Manchmal fällt ja auch ein Funken Zauber ins wirkliche Leben. Dann ist es gar nicht wichtig, wer zaubert und wer verzaubert wird. Aber selbst in diesen magischen Momenten werden routinierte Verführer wohl einen Rat aus dem Zauberkasten berherzigen, um den Reiz vor schalen Gefühlsniederungen zu bewahren: "Zaubere nicht länger als 20 Minuten".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.684373
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.