Selbstdarstellung mit Steinstapeln:Nur Natur reicht nicht

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Steinstapel vor Schlucht: Als wäre der Horseshoe Bend mit dem Colorado River nicht fotogen genug.

(Foto: Nico/Unsplash)

Am Isarufer, zu Füßen des Matterhorns, in den Dünen von Fuerteventura, sogar am Horseshoe Bend: Überall stehen Steinmandln und werden fotografiert. Was soll das eigentlich?

Von Titus Arnu

Die Hohe Reisch in Südtirol ist eigentlich ein schöner Aussichtsberg. Doch wer auf der knapp über 2000 Meter hohen Graskuppe über dem Sarntal ankommt, könnte glauben, er steht im Wald. Tausende Steine und Felsen sind hier aufeinandergestapelt. Manche Türme sind mehrere Meter hoch, manche bestehen nur aus zwei, drei flachen Steinen.

Der Ursprung der Hochstapelei an diesem Ort soll auf Hexentänze und Teufelsfeiern im Mittelalter zurückgehen. Mittlerweile aber baut jeder Tourist Steinmandln, um sie anschließend mit dem Smartphone zu fotografieren. Wegen des komplett mit Steinmännchen verbauten Gipfels ist die Hohe Reisch mittlerweile besser bekannt als "Stoanerne Mandln".

Umweltschützer schlagen Alarm, weil die Gebilde die Vegetation schädigen

Eine ähnliche Haufenbildung ist am Kuchelberggrat in den Ammergauer Alpen zu beobachten. Auf dem ausgesetzten Pfad in Richtung Kreuzspitze haben Unbekannte so viele Steine aufeinandergetürmt, dass der Kamm aussieht, als hätte er eine felsige Irokesenfrisur. Überall in den Bergen, an Flussufern und am Meer ist dieses Phänomen zu beobachten, das man aus dem Kinderlied von den fleißigen Handwerkern kennt: Stein auf Stein, Stein auf Stein, das Häuschen wird bald fertig sein.

Oberhalb der Partnachklamm bei Garmisch-Partenkirchen, am Isarufer bei der Jachenau, zu Füßen des Matterhorns, in den Dünen von Fuerteventura, am Besseggen-Grat in Norwegen oder im Yosemite-Nationalpark stapeln Touristen wie besessen Steine aufeinander. Das sieht monumental bis irre aus, und kritische Beobachter fragen sich: Was soll das eigentlich?

Steinmännchen gelten als älteste Form des Wegweisers. Die Inuit nennen sie Inuksuk, in entlegenen Himalaja-Regionen dienen sie ebenso als überlebenswichtige Markierungen von hohen Pässen wie in den Anden oder den Alpen. Doch das Häufchenmachen hat sich längst zu einer eigenen Kunstform entwickelt. In Esoterikseminaren kann man Stapelkurse buchen, es gibt sogar Weltmeisterschaften im Steineschichten.

Durch Instagram und Facebook ist das Turmbauen allerdings epidemisch geworden. In manchen Naturschutzgebieten haben Ranger damit begonnen, den Verhau wieder wegzuräumen. Umweltschützer schlagen Alarm, weil Steinmännchen die Vegetation schädigen, seltenen Insekten die Lebensgrundlage entziehen und die Erosion begünstigen können.

Wie ist diese Epidemie einzuordnen? Als Landart oder Landplage? Altmodischer Wegweiser oder neumodischer Irrweg? "Gerade auf wenig benutzten Routen in den Ostalpen oder an Zustiegen zu Klettertouren sind Steinmännchen als Markierungen immer noch unverzichtbar", sagt Thomas Bucher, Sprecher des Deutschen Alpenvereins. Beim Alpenverein hat man zwar registriert, dass es einen Trend zum Steinestapeln aus Selbstverwirklichungsgründen gibt, aber bislang nichts dagegen unternommen. Was sollte man auch dagegen tun, dass Leute auf einem entlegenen Hügel Steine übereinanderlegen?

Selbstdarstellung mit Steinstapeln: Manchmal haben die Türme auch einen Sinn: ein alpiner Wegweiser im Lauterbrunnertal in der Schweiz.

Manchmal haben die Türme auch einen Sinn: ein alpiner Wegweiser im Lauterbrunnertal in der Schweiz.

(Foto: Stefan Schneider/Mauritius)

Im Zion-Nationalpark im Südwesten der USA hat das Steinestapeln mittlerweile so überhand genommen, dass die Ranger von "Fels-Graffiti" und "Vandalismus" sprechen - und damit begonnen haben, die Naturstein-Bauten wieder abzureißen. Auch Biologen würde ein Stein vom Herzen fallen, wenn sich die Stapler etwas zurückhalten würden. Besonders am Strand können empfindliche Ökosysteme geschädigt werden, wenn man Steine aus dem Boden reißt.

Denn sie schützen Pflanzen vor der Sonne und bieten Insekten Schutz. Auch größere Tiere wie Geckos, Eidechsen und Vögel können dadurch ihre Lebensgrundlage verlieren, wie Forscher der Universität von La Laguna auf Teneriffa feststellten. Der Umweltschützer Jaume Adrover von der mallorquinischen Umweltbewegung Terraferida beklagt eine "Banalisierung der Landschaft". Vielleicht sollte man sich an den Grundsatz von Henry David Thoreau halten, den Autor der Outdoor-Bibel "Walden oder das Leben in den Wäldern" und Erfinder der modernen Naturbegeisterung: "Der Mensch ist umso reicher, je mehr Dinge er liegen lassen kann." Das gilt auch für Steine.

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