Italien:Alle gegen alle nach dem Seilbahnunglück

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Die Abfahrtsstation der Seilbahn von Stresa nach Mottarone. (Foto: Antonio Calanni/dpa)

Das Gericht von Verbania lässt zwei von drei Angeklagten frei - der technische Betriebsleiter der Bahn am Lago Maggiore steht nach seinem Geständnis unter Hausarrest. Und viele Fragen bleiben offen.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Aufarbeitung des Seilbahnunfalls am Lago Maggiore mit 14 Todesopfern erfährt eine weitere Wendung, und es ist wohl nicht die letzte. Eine Voruntersuchungsrichterin am zuständigen Gericht im norditalienischen Verbania hat zwei von drei Angeklagten nach 96 Stunden im Gefängnis wieder freigelassen: den Chef der Betreibergesellschaft "Ferrovie del Mottarone", Luigi N., 56 Jahre alt, und Ingenieur Enrico P., Angestellter der Wartungsfirma Leitner, 51. Gabriele T. dagegen, der technische Betriebsleiter der Seilbahn, 63, seit 36 Jahren dort beschäftigt, steht nun unter Hausarrest.

T. hatte gestanden, die Bremsen an der schon länger defekten Gondel bewusst und mehrmals deaktiviert zu haben, weil die Bahn sonst hätte geschlossen werden müssen. Alle seien eingeweiht gewesen, behauptete er, niemand habe den Betrieb einstellen wollen.

Das Gericht allerdings sieht "zero", also null Indizien gegen N. und P. Gabriele T. habe die zwei nur belastet, um die Verantwortung auch auf andere abzuwälzen, sagte die Voruntersuchungsrichterin Donatella Banci Bonamici. Sie demontiert damit die These der Staatsanwaltschaft, die davon ausgeht, dass die drei Verantwortlichen der Gesellschaft die Probleme der verunglückten Gondel aus finanziellen Gründen bewusst ausgeblendet hatten.

Bei den Verhören hat jeder Angeklagte dem anderen die Schuld in die Schuhe geschoben. N., ein bekannter Transportunternehmer in der Gegend, sagte, er verstehe nichts von Sicherheit, das sei die Sache von T. und P. Leitner-Ingenieur P. wiederum sagte, er habe nichts gewusst von den zwei "forchettoni", den Zangengabeln, die den Bremsmechanismus ausgesetzt haben: N. habe die gewollt, T. habe sie montiert. Alle gegen alle.

"Nie, aber wirklich niemals" - warum riss das Zugseil?

Viele Fragen bleiben offen - so viele, dass Olimpia Bossi, die nun halbwegs desavouierte Staatsanwältin, daran erinnert, dass die Untersuchung erst "ganz am Anfang" stehe. Die drei Männer bleiben angeklagt wegen Tötung in vierzehn Fällen, schwerer Körperverletzung im Fall des einzigen Überlebenden, eines fünfjährigen Jungen, außerdem wegen Fälschung und Entfernung einer Sicherheitsvorrichtung. Bossi hatte sie im Gefängnis von Verbania festhalten lassen, mit der Begründung, es bestehe Fluchtgefahr.

Völlig unklar ist noch immer, warum das Zugseil der Bahn am 23. Mai kurz nach zwölf Uhr riss. Das kommt nur sehr selten vor. Die Kabine war in jenem Moment nur noch ein paar Meter von der Endstation am Mottarone entfernt gewesen. Da das Notbremssystem nicht einsetzte, rollte die Gondel auf dem Tragseil rückwärts, gewann zusehends an Fahrt, bis sie 100 Stundenkilometer erreichte, und wurde dann beim Aufprall auf einen Pfeiler in die Luft geschleudert.

Gabriele T. erzählte im Verhör, er habe bei der Kontrollfahrt am frühen Morgen des Unglückstags ein kurioses Geräusch gehört. Da die Gondel aber schon seit vergangenem Herbst Sorgen bereitete, immer wieder stockte und sich blockierte, habe er auch an jenem Tag die Zangengabeln an den Bremsen belassen. "Nie, aber wirklich niemals" habe er sich vorstellen können, dass das Zugseil reißen könnte. Das Seil war zuletzt im November 2020 einer magnetinduktiven Prüfung unterzogen worden, einer alljährlichen Routinekontrolle. Probleme sollen dabei keine entdeckt worden sein.

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