Logbuch: Folge 5:"Froh und erleichtert, es geschafft zu haben"

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Drei Wochen lang hat die Crew der "Telefonica Black" die Sonne über dem Meer auf- und untergehen sehen. (Foto: privat)

Der Deutsche Johannes Bravidor saß wegen Corona in der Karibik fest. Mit anderen Seglern hat er sich zusammengetan und in drei Wochen den Atlantik überquert. In der letzten Folge des Logbuchs erzählt er von der Ankunft und einer blutigen Nase.

Protokoll von Veronika Wulf

Wie viele andere Touristen saß der deutsche Segler Johannes Bravidor in der Karibik fest. Flüge nach Hause gab es keine, die Versorgungslage wurde schlechter. Deshalb ist er mit elf anderen Seglern auf der Telefonica Black, einer etwa 21 mal fünf Meter großen Hochseeregattenyacht, nach Europa aufgebrochen. Quer über den Atlantik, 3500 Seemeilen Luftlinie bis nach England. Häfen unterwegs konnten nicht angesteuert werden wie sonst, das Wetter war rau, der Proviant begrenzt. In der SZ berichtet Bravidor von der gewagten Überfahrt.

23. Tag auf See

Position: 50°11'N, 3°44'W, im Ärmelkanal, 100 Seemeilen (185 Kilometer) vor dem Ziel

Durchschnittsgeschwindigkeit: fünf Knoten

Zurückgelegte Strecke: 3800 Seemeilen (7000 Kilometer)

Wenige Tage vor dem Ziel erreicht uns noch mal ein Sturm, der unsere bisherigen Erfahrungen übertrifft. Die Windgeschwindigkeit liegt bei 100 Kilometern pro Stunde und die Wellen sind bis zu neun Meter hoch. Es blitzt und wir müssen zusehen, dass unser Mast nicht zum Blitzableiter wird und damit unsere Bordelektronik zerstört oder anderweitigen Schaden anrichtet.

Logbuch: Folge 4
:"Man kann sich kaum aus dem Weg gehen"

Der Deutsche Johannes Bravidor saß wegen Corona in der Karibik fest. Nun hat er sich mit anderen Seglern zusammengetan und überquert den Atlantik. In Folge 4 des Logbuchs erzählt er vom Zusammenleben auf 21 Metern und warum Demokratie hier nicht funktioniert.

Protokoll von Veronika Wulf

Mit unseren noch zur Verfügung stehenden Segeln können wir nur noch in Grenzbereichen segeln: entweder bei richtig viel Wind oder bei sehr wenig Wind, nichts dazwischen. Insofern ist der Sturm nicht schlecht, wir haben kurzzeitig einen neuen Geschwindigkeitsrekord für unsere Reise: 27 Knoten. Allerdings ist es sehr anstrengend für alle und es geht viel kaputt. Einige von uns tragen leichte Verletzungen davon: Beulen, blaue Flecken, eine blutige Nase. Immer wieder fällt die Windmessung aus, sodass wir insbesondere nachts nicht immer präzise einschätzen können, aus welcher Richtung der Wind weht.

Ein Leben in Schräglage: Unterwegs mit der "Telefonica Black" mitten auf dem Atlantik (Foto: privat)

Zwei Tage später ist alles ruhig. Wir versuchen, einem Windloch hinter uns zu entkommen, das uns noch mal vier Tage länger auf dem Meer halten könnte. Diese Zeit haben wir nicht mehr; wir haben weder die ausreichende Verpflegung noch genügend Diesel noch die Segel, nachdem trotz Reparatur ein weiteres Vorsegel durchgerissen ist.

Erste Zeichen von Zivilisation

Im Nebel fahren wir mit Motor langsam nach Nordwesten in Richtung Kontinentalschelf, dort, wo im Atlantik die Meerestiefe von mehreren Tausend Metern zu wenigen Hundert Metern übergeht. Ab und zu hört man in der Ferne ein Nebelhorn von vorbeifahrenden Schiffen - die ersten Zeichen, dass wir uns wieder in die Nähe von Zivilisation begeben. Hin und wieder begleiten uns ein paar Möwen.

Die Reise hat uns allen unsere Grenzen gezeigt, manchem mehr, manchem weniger. Die Erschöpfung hat unsere Nerven strapaziert. Unsere Sachen sind nass, es ist kalt. Kaffee und Zucker sind alle, Snacks für zwischendurch müssen wir rationieren, Diesel und sonstige Verpflegung werden langsam knapp. Deshalb treffen wir die Entscheidung: Wir steuern den ersten englischen Hafen an, der auf unserem Weg liegt.

Das ist Plymouth im Südwesten von England. Dort nehmen wir neuen Proviant und Diesel auf, bevor wir nach einer kurzen Verschnaufpause zu unserer letzten Etappe bis Southampton aufbrechen. Unseren ursprünglichen Plan, nach Portsmouth zu fahren, haben wir aufgegeben, weil es in Southampton unkomplizierter sein wird, anzulegen und die beiden Häfen ohnehin direkt nebeneinander liegen.

Endlich Land: Nach drei Wochen auf See fährt die "Telefonica Black" in den Hafen von Plymouth, England, ein. (Foto: Barry Dixon)

Land in Sicht

Am nächsten Morgen zeichnet sich im Nebel Land am Horizont ab. Fragen gehen durch den Kopf, was uns erwarten wird. Niemand von uns war in Europa, seit Covid-19 ausgebrochen ist. Auch wenn wir ab und zu ein paar Informationen per E-Mail und Satellitentelefon bekommen haben, waren wir von den Nachrichten weitestgehend abgeschnitten. Sind alle Freunde und Verwandten gesund? Wie kommen wir nach Hause, nachdem wir angelegt haben? Wann können wir mal wieder duschen? Es ist klar, dass es keine Willkommensparty für uns geben wird. Wir werden auch nicht in einen Pub gehen können, um unsere Ankunft zu feiern. Social Distancing wird uns nicht schwer fallen. Wir haben schließlich mehrere Wochen nicht geduscht und werden wahrscheinlich so sehr riechen, dass sich niemand freiwillig in unsere Nähe begibt.

Ein paar Stunden später kommen wir in Plymouth an. Ein Pilotboot des Hafens empfängt uns und geleitet uns zu unserem Liegeplatz. Die drei Männer tragen Masken und halten auch an Land Abstand zu uns. Dort, wo sonst um diese Jahreszeit ein reges Treiben herrscht, wirkt der Hafen nun wie ausgestorben. Dennoch sind wir froh und erleichtert, es geschafft zu haben.

Am Abend gibt es Fish & Chips, die uns ein Restaurant aufs Boot liefert - und das erste Bier nach drei Wochen auf See. Uns erreichen Dutzende Nachrichten von Familie und Freunden, die erleichtert sind, dass wir es hinter uns haben. Denn zwischendurch war kurzzeitig unklar, wo wir uns befinden, weil kein GPS-Signal gesendet wurde. Unter strengen Auflagen darf auch ab und zu jemand an Bord, der sich auf den Weg nach Plymouth gemacht hat, um uns zu empfangen. Wir selbst gelten trotz Einreise als gesund, da wir uns in den drei Wochen auf See quasi in freiwilliger Quarantäne auf dem Boot befunden haben.

Am darauffolgenden Abend sind wir Teil der BBC-Nachrichten. Lee, der zum ersten Mal gesegelt ist, wird dabei zu einer kleinen lokalen Sensation. Noch ist unsere Reise jedoch nicht zu Ende.

"Was bleibt, ist Stolz und Dankbarkeit"

Nach drei Tagen im Hafen setzen wir unsere Reise nach Southampton fort. Danach werden sich unsere Wege trennen und jeder wird versuchen, auf eigene Faust nach Hause zu kommen. Manche müssen weiter nach Deutschland, manche nach Frankreich, Holland, Polen, in die Schweiz und die Slowakei. Wie gut das gehen wird, wird sich zeigen, bei dem stark eingeschränkten Flugverkehr. Aber immerhin sind wir jetzt auf dem richtigen Kontinent.

Es wird sicher noch ein paar Tage dauern, bis wir alle Erlebnisse verarbeitet haben. Noch schwankt bei manchen der Horizont vom Seegang etwas und einigen fällt es noch schwer, eine gerade Linie an Land zu gehen.

Johannes Bravidor, 41, hat zuletzt in London gelebt. Er erfuhr erst nach seiner Ankunft auf Antigua, dass das Coronavirus die Welt verändert hat. (Foto: privat)

Erich wird zurück in die Schweiz reisen und versuchen, seinen Yachtmaster fertig zu machen. Bastian wird im Herbst sein Studium beginnen. Natasha und Connor werden auf der Isle of Wight vor der Südküste Großbritanniens an Booten arbeiten. Lee wird seine Ausbildung zum professionellen Segler beginnen. Lance und Claire verbringen erst mal Zeit zu Hause in Schottland. Ich selbst werde mich wieder um mein Start-up kümmern, das resistente Bienenköniginnen züchtet und sich gerade in Gründung befindet.

Was bleibt, ist Stolz und Dankbarkeit, dass wir mit Menschen, die wir kaum kannten, unter ungewöhnlichen Umständen eine ungewöhnliche Reise angetreten haben - und es trotzdem alle gesund nach Hause geschafft haben.

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