Scientology und Hollywood:Massenexodus der Prominenz

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Ein Scientology-Gebäude am Hollywood Boulevard. (Foto: REUTERS)

Die Scientologen und Schauspieler Jason Beghe und Leah Remini, der Scientologe und Drehbuchautor Paul Haggis: Prominente verlassen die Sekte nicht mehr leise, sondern mit einem Knall. Die enge Verbindung zu Hollywood, die der Organisation einst ihren Erfolg garantierte, bringt sie jetzt in die Bredouille.

Von Lena Jakat

Es ist das Jahr 1975, in dem Paul Haggis Scientologe wird. In seiner Heimatstadt London, Ontario, ist er gerade auf dem Weg zum Plattenladen, als er einen "langhaarigen jungen Mann mit durchdringendem Blick und einem sonderbar eindringlichen Auftreten" trifft. Der Fremde reicht ihm ein Buch. Der Autor: L. Ron Hubbard. Haggis liest die Schriften des Sektengründers, belegt Kurse. Er zieht nach Hollywood, wird erfolgreicher Drehbuchautor ("Million Dollar Baby", "Crash") und Regisseur. Er bleibt Scientology treu. 35 Jahre lang.

Wie es die Sekte von ihren Mitgliedern verlangt, setzt sich auch Haggis in all den Jahren nie mit kritischen Berichten über Scientology auseinander, verfolgt nicht die Vorwürfe, die Abtrünnige gegen die Organisation erheben. 2008 streitet Kalifornien erbittert über ein Verbot homosexueller Ehen, Scientologen schlagen sich auf die Seite der Befürworter dieses Verbots, der "Proposition 8". Das seit jeher schwierige Verhältnis der Kirche zu Homosexualität wird offenbar.

Haggis, Vater zweier lesbischer Töchter, fordert von der Organisation eine klare Haltung für die Homo-Ehe - und wird enttäuscht. Was für Außenstehende wie eine Randnotiz wirken könnte - angesichts all der Praktiken, die der Sekte zur Last gelegt werden -, ist für Haggis der Auslöser, die Lehren Scientologys in Zweifel zu ziehen. Er beginnt zu recherchieren, nachzufragen, zu kritisieren. Und schreibt schließlich dem Scientology-Sprecher Thomas Davis einen Brief. "Ich schäme mich, so lange gewartet zu haben, bis ich handelte. Hiermit kündige ich meine Mitgliedschaft in der Scientology-Kirche."

Vier Jahre später erscheint die Geschichte von Haggis' Entfremdung jetzt auf Deutsch, aufgeschrieben von Lawrence Wright, Pulitzer-Preis-gekrönter Autor und Journalist beim New Yorker. "Im Gefängnis des Glaubens" erzählt davon, wie Haggis des Ideologiegebäudes gewahr wird, das ihn umgibt. Das zwar keine Gitterstäbe hat, aber wie ein Gefängnis nach strengen, absoluten Regeln funktioniert und die Menschen von der Welt jenseits der Mauern trennt.

Scientology steckt in einer "veritablen Krise"

Anhand der Biografie des Oscar-Preisträgers Haggis zeichnet Wright die Historie der Scientology-Sekte bis ins Detail nach. Das Buch wird von Scientology als verleumderisch, als voller "Fehler, unfundierter Aussagen und schlicht falscher Fakten" verurteilt. Wright sprach mit mehr als 200 aktuellen und ehemaligen Mitgliedern der Organisation, allein die Quellennachweise füllen 60 Seiten. "Mein Ziel war nicht, eine Enthüllungsgeschichte zu schreiben, das hätte keinen Sinn gemacht", sagt Wright im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Scientology hatte sowieso schon einen miserablen Ruf. Mein Ziel war es lediglich, zu verstehen, was Leute in die Kirche zieht und wie sie davon profitieren." Nichtsdestotrotz kommt Wright zu dem Schluss, dass die Sekte in einer "veritablen Krise steckt", die sie "zu Fall bringen wird", wenn die Organisation nicht auf die massive Kritik reagiere.

Bezeichnend für diese Krise ist die Geschichte von Paul Haggis: Eines ihrer bekanntesten Mitglieder verlässt die Sekte nach Jahrzehnten. Das zeigt, wie schwierig eine Beziehung geworden ist, die Scientology einst den Erfolg garantierte. Die zwischen der Organisation und Hollywood.

"In den USA etablierte sich mehr und mehr eine Star-Kultur", sagt Autor Wright. Der Sektengründer wollte vom Glamour der Leinwandstars, von der Anziehungskraft der Prominenz profitieren, gezielt warb er im Showgeschäft Fürsprecher für seine Organisation an, als Testimonials. "Das war ein Geniestreich", sagt Wright. "Was später viele Werbekampagnen taten, nahm er vorweg. Das machte Scientology in den Anfangsjahren so ansprechend und schick." 1969 eröffnete in Hollywood das erste Celebrity Center, ein Gemeindezentrum für Filmstars.

Die enge Bindung der Sekte an die Bling-Bling-Hauptstadt dürfte zum Teil auch Hubbards eigenen Ambitionen im Filmgeschäft geschuldet sein. "Er schrieb nicht nur ungezählte Drehbücher für Schulungsfilme von Scientology, sondern glaubte weiterhin, Hollywood erobern zu können", heißt es in Wrights Buch. Bei dieser Eroberung helfen sollten ihm Ende der 1970er Jahre - der erste Star-Wars-Film war gerade in den Kinos angelaufen - ein Skript mit dem Titel "Revolt in the Stars" und ein Mann namens Milton Katselas.

Hubbards Filmprojekt scheiterte. Doch Katselas, Schauspiellehrer und selbst recht weit oben auf der Scientology-Erleuchtungsleiter, wurde zu einem der "wichtigsten Lieferanten neuer Scientology-Rekruten". Prominente Mitglieder wie Kelly Preston, Schauspielerin und Ehefrau von John Travolta, Nancy Cartwright (die Stimme von Bart Simpson) und "King of Queens"-Darstellerin Leah Remini soll Katselas zu Scientology gebracht haben.

Bisher haben sich prominente Mitglieder so heimlich von Scientology distanziert, wie sie sich der Kirche oft auch angenähert hatten. Doch nun verlassen erste berühmte Scientologen die Sekte mit einem Knall. Menschen, die lange Zeit glaubten, ihr Erfolg, ihr Ruhm hänge auch mit den Hubbard-Programmen zur Selbstoptimierung zusammen. Menschen wie Paul Haggis. Wie Jason Beghe, der 2007 als erster Prominenter öffentlich mit Scientology brach. Wie Leah Remini. Die Schauspielerin sorgte zuletzt für Aufsehen, als sie nach ihrem Austritt energisch Aufklärung über das Schicksal von Shelly Miscavige forderte. Die Frau von David Miscavige, der nach Hubbards Tod 1986 die Führung der Sekte übernahm, soll seit Jahren gegen ihren Willen festgehalten werden. Scientology hat dies immer wieder dementiert.

"Die Kirche hat immer Prominente als Megafon benutzt, um der Welt ihre Botschaft zu verkünden", sagt Wright. Aber jetzt, da Prominente die Sekte verlassen, hat sich das Megafon umgedreht." Doch nicht nur die Schauspieler, die sie verlassen, schaden der Organisation. Sondern auch manche, die bleiben. "Immer wenn jemand wie John Travolta einen Skandal hat, wird das mit der Kirche in Verbindung gebracht", sagt der New Yorker Journalist Tony Ortega am Telefon. Ortega berichtet seit fast 20 Jahren über Scientology. Täglich postet er Artikel und Dokumente auf seinem Blog. Er zweifelt nicht daran, dass sich Scientology "in der schwersten Krise ihrer Geschichte" befindet.

Psychische und körperliche Misshandlung

"All das findet vor dem Hintergrund eines Massenexodus statt. Seit zehn Jahren verlassen Langzeitmitglieder und Führungskräfte der höchsten Ebene die Kirche", sagt Ortega. Menschen wie Marty Rathbun, jahrelang Nummer zwei in der Hierarchie. Wie der frühere Sektensprecher Mike Rinder. Wie die hochrangige und hochgeschätzte Funktionärin Debbie Cook oder Jenna Miscavige Hill, die Nichte des Sektenchefs.

Gleich zwei Oscars konnte der Drehbuchautor Paul Haggis 2006 für "Crash" mit nach Hause nehmen. (Foto: AFP)

Nicht alle von ihnen zweifeln plötzlich an der Lehre, der sie so viele Jahre enthusiastisch angehangen haben. Doch alle zweifeln an David Miscavige. Autoritärer Führungsstil, drakonische Strafen bei Ungehorsam, massive psychische und körperliche Misshandlung. Die Liste der Vorwürfe, die ehemalige Mitglieder gegen den 53-Jährigen erheben - und die Scientology immer wieder zurückweist -, ist lang. Die aktuelle Krise der Organisation ist auch die Krise von Miscavige.

Was wird nun also aus Scientology? Vielleicht ist es ein bisschen wie mit ihrem berühmtesten Anhänger, Tom Cruise. Schon häufiger wurde das Ende seiner Karriere prophezeit - doch allein seine beiden letzten Filme "Jack Reacher" und "Oblivion" spielten mehr als 400 Millionen Dollar ein. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass auch Scientology die gegenwärtige Krise überdauern könnte.

So gibt es keinerlei Hinweise auf eine interne Opposition gegen Miscavige, seine Macht im Innern jenes Gefängnisses, das Wrights Buch seinen Titel gab, scheint ungebrochen. Und auch von außen droht keine nennenswerte Gefahr. Zwar gibt es Ex-Mitglieder wie Marty Rathbun, die als "freie Scientologen" eine neue Hubbard-Organisation aufbauen könnten. Doch die Bewegung dieser "Independents" ist ihrerseits zerstritten.

In den USA wird Religionsfreiheit viel mehr im Sinne eines Pluralismus der Glaubensgemeinschaften und ihrer Institutionen begriffen als in Europa. Auf dieses Grundrecht berufen sich die vielen Prominenten, die Scientology noch immer öffentlich verteidigen. Wie die Schauspielerin Kirstie Alley.

Hunderte Millionen Spendengelder

Und auf dieses Recht pochen auch die umtriebigen Juristen der Kirche. "Scientology verfügt über eine Reihe sehr talentierter Anwälte", sagt Buchautor Wright. Er muss es wissen, denn er hatte mit diesen bereits während der Recherchen zu seinem Buch zu tun. Und als es fertig war, wurde in Großbritannien von einer Veröffentlichung abgesehen. Um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Auch in Kanada ist es nicht erschienen.

Vor allem aber hat Scientology Geld. Viel Geld. Mehr als eine Milliarde Dollar in liquiden Mitteln, sagen Wright und Ortega. "Die größte Herausforderung für Miscavige", sagt Ortega, "ist es, die Leute bei der Stange zu halten, die Schecks über Millionen Dollar ausstellen können." Solange ihm das gelingt, wird Scientology weiter funktionieren. Und die Schecks kommen offenbar noch: Nach fast 15 Jahren Bauzeit soll am 6. Oktober die neue Scientology-Zentrale in Clearwater eröffnet werden. Für das siebenstöckige Gebäude soll die Sekte mehr als 140 Millionen Dollar an Spenden eingenommen haben.

© SZ vom 02.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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