Schweiz:Versuch am offenen Herzen

Einer Patientin der Zürcher Universitätsklinik soll absichtlich ein Spenderorgan mit einer falschen Blutgruppe eingepflanzt worden sein.

Von Judith Raupp

Etwa ein Jahr ist es her, dass ein Medizinskandal die Schweiz erschütterte. Ärzte der Universitätsklinik Zürich pflanzten der 57-jährigen Rosmarie Voser am 20. April 2004 ein Herz ein, das mit ihrer Blutgruppe nicht kompatibel war.

Drei Tage später verstarb sie, ihr Körper hatte das Herz abgestoßen. Versehentlich war Rosmarie Voser das "falsche" Herz eingepflanzt worden, davon war die Staatsanwaltschaft bislang ausgegangen, die gegen den mittlerweile pensionierten Chefarzt der Herzchirurgie Marko Turina wegen fahrlässiger Tötung ermittelte.

Mit einem Paukenschlag ist den Schweizern der Fall nun wieder in Erinnerung gerufen worden und der Skandal ein noch größerer: Die Ärzte sollen der Frau bewusst das falsche Herz eingepflanzt haben. Das geht aus einem Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts Zürich vom 7. Juni 2005 und Protokollen der Staatsanwaltschaft hervor, die mehreren Schweizer Medien zugespielt wurden.

Ermittlungen ausgedehnt

Die Klinikleitung hat am Montag dem Zürcher Tages-Anzeiger zufolge mehrere Ärzte, die an Vosers Behandlung beteiligt waren, suspendiert. Näher wollte sich das Spital nicht äußern. "Es finden derzeit Abklärungen auf mehreren Ebenen statt", sagte eine Sprecherin.

Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Verena Diener ordnete bis auf weiteres einen Stopp der Herzverpflanzungen in der Klinik an. "Zur Sicherheit der Patienten und um das Personal nicht noch weiter unter Druck zu setzen", erklärte sie das Moratorium. Sollten die Ärzte die inkompatiblen Blutgruppen bewusst in Kauf genommen haben, sei das "absolut verwerflich", ergänzte sie.

Nachdem Schweizer Medien am Wochenende aus dem Gutachten und den Protokollen zitiert haben, hat die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ausgedehnt. Jetzt werde geprüft, ob eine "eventualvorsätzliche Tötung" vorliege, sagte Staatsanwalt Ulrich Weder im Schweizer Radio DRS.

Mehr wollte er mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht offen legen. Unklar bleibt, weshalb die Ermittlungen bereits länger als ein Jahr dauern und erst jetzt ausgeweitet wurden.

Die Idee, Rosmarie Voser mit der Blutgruppe Null ein Herz eines Spenders mit der Blutgruppe A einzupflanzen, soll laut Gutachten ein leitender Arzt gehabt haben. Dieser Arzt, im Dokument K. genannt, soll in der Nacht des 20. April 2004 den Oberarzt R. beauftragt haben, Marko Turina von dem Vorhaben zu unterrichten.

Zu der Zeit stand das Spenderherz frisch zur Verfügung. R. habe Turina morgens um vier Uhr angerufen, heißt es weiter, und ihm die Sachlage erklärt. Turina habe nach Aussage von R. erwidert: "Wir machen es." Turina und K. operierten die Patientin gemeinsam.

Chefarzt Turina sagte nach dem Tod der Patientin vor einem Jahr aus, er habe die Blutgruppen am Telefon missverstanden. Wären ihm die inkompatiblen Gruppen vor der Operation bewusst gewesen, hätte er niemals zugestimmt. Bisher ist unklar, wann Turina die Wahrheit erfuhr.

Offen ist auch, ob die Ärzte den Fall vor dem Eingriff eingehend erörtert haben. Mitarbeiter kritisierten schon den Führungsstil in der Klinik: "Chefentscheidungen werden nicht diskutiert".

Gerangel zwischen Bern und Zürich

Mysteriös bleiben die Motive des leitenden Arztes K., die Transplantation trotz verschiedener Blutgruppen vorzunehmen. Es könnte der Zeitdruck gewesen sein. Rosmarie Voser ging es immer schlechter.

Es könnte aber auch Profilierungssucht gewesen sein. K. soll ausgesagt haben, dass er sich an einen ähnlichen Fall am Inselspital in Bern erinnert habe. Dort wurde vor Jahren einem Patienten versehentlich ein Herz mit falscher Blutgruppe eingepflanzt. Der Mann überlebte dank einer immunologischen Nachbehandlung.

Die Herztransplantationsabteilung in Zürich hat unter der Leitung von Marko Turina international eine hohe Reputation aufgebaut. Mehr als die Hälfte der 600 Verpflanzungen in der Schweiz wurden dort vorgenommen.

Allerdings macht das zweite Schweizer Transplantationszentrum im Berner Inselspital den Zürchern den Ruf strittig. Nicht zuletzt, weil Zürich in jüngster Zeit vor allem Negativ-Schlagzeilen liefert: Im vergangenen Jahr sind außer Rosmarie Voser zwei weitere Herzpatienten nach einer Transplantation verstorben.

Die Krankenakte Rosmarie Voser war von Anfang an öffentlich. Die Patientin hatte sich auf Wunsch der Zürcher Universitätsklinik bereit erklärt, ihr Schicksal im TV-Nachrichtenmagazin Zehn vor Zehn darzulegen. Eine erfolgreiche Herztransplantation sollte den mangelnden Willen in der Bevölkerung zu Organspenden beflügeln. Umso tiefer sitzt jetzt der Schock.

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