Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Wenn die Trockenheit das Futter frisst

Lesezeit: 2 min

In den Bergen versorgen Helikopter die Kühe mit Wasser, im Tal färben sich schon jetzt die Bäume herbstlich braun. Das Wetter erreicht in der Schweiz Rekorde - und bringt längst Vergessenes ans Tageslicht.

Von Isabel Pfaff, Bern

Es dürfte ein eigentümliches Bild sein, das sich den Menschen in den Schweizer Bergen gerade bietet. Helikopter steigen in den Himmel auf - nicht um verunglückte Wanderer zu bergen, sondern um Kühen Wasser zu bringen. Die Hubschrauber der Schweizer Armee nehmen dafür Wasser aus nahe gelegenen Seen in Hängebehälter auf und entleeren diese dann in Becken in den Bergen. Bislang, so teilt ein Armee-Sprecher auf Anfrage mit, hätten sich in diesem Sommer drei Kantone - Obwalden, Freiburg und Bern - mit solchen Hilfegesuchen an die Armee gewandt. Was bedeutet: Die Wasserknappheit auf den Alp-Betrieben ist so groß, dass die Kantone die Versorgung aus eigener Kraft nicht mehr schaffen.

Die Trockenheit in der Schweiz bricht bisherige Rekorde. "In der Periode von Mai bis Mitte August fiel in der Schweiz regional so wenig Regen wie nie in den letzten 140 Jahren", teilte Meteo Schweiz, das Schweizer Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie, jüngst mit. Die Folgen sind sichtbar: Wiesen und Bäume haben sich in bestimmten Regionen schon im Hochsommer braun verfärbt. Die Wasserstände von Flüssen und Seen gehen stark zurück. Und die Schweizer Viehbauern bangen um ihre Tiere: Während den Obstbauern Sonne und Hitze gute Ernten bescheren, fehlt es den Kühen mittlerweile an Wasser und Futter.

Auf den Wiesen finden die Kühe kaum noch Gras

In mehreren Regionen des Landes sind die Wiesen so ausgedörrt, dass die Kühe kaum noch Gras finden. Manche Landwirte müssen bereits jetzt die Heuvorräte verfüttern, die für den Winter gedacht waren. Die Folge: In einigen Monaten wird das Futter für die Kühe knapp werden. Einige Bauern haben deshalb begonnen, Tiere an Schlachtereien zu verkaufen, die sie eigentlich noch als Milchkühe behalten wollten. "Das tut weh", zitiert das Schweizer Fernsehen einen Bauer aus dem Kanton Bern. "Aber es ist besser, als wenn die anderen Kühe im Winter nichts zu Fressen haben."

Die Hitze beeinträchtigt mittlerweile auch das Bergsteigen in den Schweizer Alpen. Weil in diesem Jahr Schnee, Eis und Gletscher ungewöhnlich stark schmelzen, warnen Bergführer nun vor dem Einsturz von Schneebrücken und Steinschlägen. Wie die Sonntagszeitung vor wenigen Wochen berichtete, haben die Bergführer der Region Grindelwald zum ersten Mal in ihrer über hundertjährigen Geschichte die klassische Tour auf die Jungfrau, den prominenten Viertausender in den Berner Alpen, aus ihrem Programm genommen - zu gefährlich wegen der Steinschlaggefahr.

Die Hitze legt ein lange verschwundenes Flugzeugwrack frei

Die Schnee- und Gletscherschmelze bringt allerdings auch Überraschendes zutage. Zwischen den Kantonen Waadt und Wallis etwa zeigt sich erstmals seit schätzungsweise 2000 Jahren der Zanfleuron-Pass ohne eine Eisschicht. 2012 soll das Eis an dieser Stelle noch 15 Meter dick gewesen sein. Anfang August machten Bergsteiger auf dem Aletschgletscher im Kanton Wallis eine weitere spektakuläre Entdeckung: ein Flugzeugwrack. Wie sich herausstellte, handelte es sich um die Überreste einer bereits 1968 abgestürzten Maschine. Bei dem Unfall starben drei Menschen, deren Leichen geborgen wurden; die Trümmerteile ließ man zurück. Nun hat der geschrumpfte Gletscher sie wieder freigegeben.

Auch menschliche Überreste sind diesen Sommer aus dem schmelzenden Eis aufgetaucht: Bergsteiger entdeckten Ende Juli auf dem Stockji-Gletscher bei Zermatt und Anfang August auf dem Chessjen-Gletscher bei Saas Fee menschliche Knochen, die derzeit untersucht und mit den Vermisstenlisten des Kantons Wallis abgeglichen werden.

Aber nun soll endlich der Regen kommen. Schweizer Meteorologen kündigen fürs ganze Land, auch auf der Alpensüdseite, Niederschläge an. Expertinnen wie die ETH-Forscherin Sonia Seneviratne geben dennoch keine Entwarnung: Um das Wasserdefizit im Land auszugleichen, müsste es über Tage, sogar Wochen stark regnen, sagte sie am Mittwoch dem Tages-Anzeiger. Und eine solche Regenphase ist weiterhin nicht in Sicht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5640835
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.