Schweiz:Stillgesessen!

Warum Schweizer Rekruten ihren Dienst auf der heimischen Couch absolvieren.

Von Isabel Pfaff

"Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet!", heißt es in der ersten Strophe der Schweizer Landeshymne. Die Eidgenossen und ihre Freiheit, das ist in etwa die Beziehung, die die Deutschen zum Bier haben oder die Italiener zum Espresso. Nur können selbst die Schweizer sich nicht von allem Unbill befreien, das demonstrierte das vergangene Jahr ziemlich gut. Und so muss man auch in der Alpenrepublik gerade Dinge umwerfen, die man für unumstößlich gehalten hat.

Seit ungefähr 150 Jahren nämlich rücken wehrpflichtige Schweizer jedes Jahr zu Tausenden in die Kasernen ein, um ihre Rekrutenschule zu absolvieren. In diesem Januar beginnen knapp 12 000 junge Männer (und rund 200 junge Frauen) mit ihrer Grundausbildung, im Sommer werden es wohl noch einmal so viele sein. Doch weil Pandemie ist, rücken die Armeeangehörigen diesmal gestaffelt ein. 40 Prozent der Rekruten dürfen erst mal zu Hause bleiben, sie leisten drei der 18 Dienstwochen im Home-Office.

Mit der Theorie ist das Pensum der Heim-Rekruten noch nicht erfüllt

Seit Kurzem büffeln also 5000 junge Schweizer Armeestoff am heimischen Computer - Trockenübungen sozusagen. Nach den drei Wochen sollen sie unter anderem die wichtigsten Regeln des Kriegsvölkerrechts kennen, Ränge und Abzeichen auswendig gelernt haben, wissen, aus welchen Bestandteilen das Sturmgewehr 90 besteht und wie man eine Schutzmaske reinigt. Gelernt werden darf nach "individuellem Zeitplan", aber die Armee warnt auf ihrer Webseite davor, die vorgeschriebenen Lektionen auf die leichte Schulter zu nehmen, denn: "Ihr Lernerfolg wird nach dem Einrücken am Montag, 8. Februar 2021, überprüft."

Mit der Theorie ist das Pensum der Heim-Rekruten aber noch nicht erfüllt. Mindestens vier Stunden Sport pro Woche sollen sie machen, mithilfe der armeeeigenen App "Ready". Und wer dann noch Zeit hat, kann entweder seine Armeestiefel einlaufen ("keine Vorschrift, aber es empfiehlt sich", sagt ein Armeesprecher auf Anfrage) oder die Landeshymne auswendig lernen (in manchen Kasernen, so erzählen ehemalige Rekruten, eine Bedingung, um abends ausgehen zu dürfen).

Peinlich nur, dass die Armee bei ihrer erstmaligen Verlegung ins Home-Office einen Fehlstart hingelegt hat. In der Eidgenossenschaft, wo die Armee ein Bürgerheer ist, ist das Einrücken der Wehrpflichtigen eigentlich immer eine Meldung wert. Und so erwartete man den ersten Tag dieser ungewöhnlichen Rekrutenschule mit Spannung: Medien postierten Reporter neben den Rechnern angehender Rekruten, tickerten quasi live vom ersten Einloggen ins "Distance-Learning"-System. Und dann das: technische Probleme, fast die Hälfte der Home-Rekruten kam am ersten Tag nicht ins System, auch in den Tagen darauf klappte es nicht reibungslos. Man habe "keinen wunschgemäßen Start hingelegt", räumte die Armee kleinlaut ein und entschuldigte sich per Pressemitteilung dafür. Sie verspricht sogar, die Prüfungen für die Armee-Neulinge "wegen des erschwerten Lernens" anzupassen. In helvetischem Armeeslang würde man diese Leistung wohl mit dem Ausdruck NEF bewerten: nicht erfüllt.

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