Klimawandel in den Alpen:Schmelzende Landkarte

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Grenzfall: Der Gipfel des Matterhorns liegt genau auf der Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Im Skigebiet unterhalb des berühmten Gipfels musste nun der Grenzverlauf neu definiert werden. (Foto: Jamey Keaten/dpa)

Wo früher Italien war, beginnt nun die Schweiz: Warum die Nachbarländer den Grenzverlauf am Fuße des Matterhorns verändern.

Von Titus Arnu

Die Besteigung des Matterhorns ist ein Erlebnis im Grenzbereich. Über den Hörnligrat führt die einfachste Route durch ein Labyrinth aus Schotterrinnen, Felstürmen und Gneis-Platten. Es sind 1200 Höhenmeter kraftraubende Kletterei in Eis und Fels, vorbei am „faulen Eck“, am „Gebiss“ über die Schulter bis zum 4478 Meter hohen Gipfel. Wer noch Puste übrig hat, balanciert hinüber zum zwei Meter niedrigeren italienischen Gipfel. Wie bei vielen Bergen am Alpenhauptkamm verläuft die Grenze zwischen der Schweiz und Italien genau über den höchsten Punkt.

Weil der Permafrost taut, wächst die Steinschlaggefahr am Matterhorn. Zermatter Bergführer boten die lukrative Tour – eine Besteigung mit Guide kostet etwa 2000 Euro – diesen Sommer zeitweise nicht mehr an. Der Klimawandel setzt dem Hochgebirge so zu, dass sogar die Grenze zwischen Italien und der Schweiz neu gezogen werden muss. Weil der bisherige Verlauf auf dem Theodulpass unterhalb des Matterhorns buchstäblich wegschmilzt, haben sich die beiden Länder nun auf eine neue Linie geeinigt. Laut der Schweizerischen Akademie der Wissenschaften haben die Alpengletscher im Jahr 2023 vier Prozent ihres Volumens verloren.

Bei Zermatt gilt: Wenn Wasser nach Süden fließt, ist dort Italien

Ein großer Teil der 1935 Kilometer langen Landesgrenze der Schweiz führt durchs Hochgebirge, 6983 Grenzsteine legen den Verlauf fest. Markierungen können nur dort angebracht werden, wo der Untergrund felsig ist, etwa am Matterhorn-Gipfel. Große Abschnitte der Grenze mit Italien sind durch die Wasserscheide oder durch Kammlinien von Gletschern, Moränen und Firnflächen bestimmt, vor allem im Bernina- und Monte-Rosa-Massiv. In welche Richtung das Schmelzwasser abfließt, ist entscheidend für die geografische Zuordnung. Bei Zermatt gilt grob gesagt: Wenn Wasser nach Süden fließt, ist dort Italien.

Rund um die Testa Grigia, einen knapp 3500 Meter hohen Felskopf am Pass zwischen Wallis und Aostatal, ist das vermeintlich ewige Eis vor allem auf der Südseite in den vergangenen Jahren so stark zurückgegangen, dass das Gelände nach dieser Definition in die Schweiz rübergerutscht ist. Die Berghütte Rifugio Guide de Cervino befand sich zur Zeit ihrer Erbauung 1989 noch vollständig auf italienischem Staatsgebiet, nun steht sie in der Schweiz. Wegen des Gletscherschwunds fließt das Schmelzwasser nun Richtung Norden ab, sodass sich die Wasserscheide geändert hat. Die Grenze wurde deshalb ein paar Meter verschoben, die Schweiz wird ein bisschen größer. Der Schweizer Bundesrat hat den Vertrag offiziell gebilligt, Italien muss noch unterzeichnen.

Die Theodulhütte (Rifugio Theodulo) am Matterhorn. (Foto: imago stock&people)

Streit gibt es auch um die geografische Lage der Theodulhütte, die zum Teil in Italien, zum Teil in der Schweiz steht. Hüttenwirt Lucio Trucco, ein Italiener aus Valtournenche, wird aber wohl kaum die Speisekarte seines Restaurants ändern und nur noch Rösti und Fondue anbieten, weil das Gelände um die Hütte geografisch weiter in die Schweiz rückt. Das rustikal eingerichtete Lokal ist weithin bekannt für besonders gute Lasagne, gegrillten Oktopus, Focaccia und Pizza. Die in jeder Hinsicht überragende italienische Küche auf fast dreieinhalbtausend Metern kann und will trotz der Grenzverschiebung niemand einschweizern.

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