Süddeutsche Zeitung

Schweiz:Sind das Locken?

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Genf stellt neue Straßenschilder vor: mit Senioren und Frauen. Bei einigen muss man genau hinsehen. Rätselraten im Dienste der Vielfalt? Läuft das dem Sinn von Verkehrsschildern nicht entgegen?

Von Philipp Bovermann

Die Genfer Stadtpräsidentin Sandrine Salerno rechnete wohl damit, dass die "Feminisierung bestimmter Verkehrszeichen" nicht jedem sofort als Projekt von höchster Wichtigkeit einleuchten wird. Sie ahnte vielleicht das Kopfschütteln, die Spontanreferate am Küchentisch über Symbole und deren Funktion. Die Idee, sagte sie bei der Vorstellung der neuen Genfer Verkehrsschilder für Zebrastreifen, "mag anekdotisch erscheinen". Eine Spielerei aber, nein, das sei es nicht.

Neu hinzugekommen auf den symbolischen Zebrastreifen Genfs sind unter anderem: Senioren, schwangere Frauen und Paare. Schon bei dem Paar muss man genauer hinschauen. Sind das zwei Frauen? Wo gehen die hin, was haben die vor, sind die verheiratet? Auch ein Bild mit einer Frau mit Locken - als schwarzer Schemen, wie das Straßenschilder so an sich haben - lässt einiges offen: Sind das "normale" Schweizer Locken? Ist das ein Afro?

Rätselraten im Dienste der Vielfalt läuft dem Sinn von Verkehrsschildern auf den ersten Blick entgegen. Soll man sie nicht schnell und möglichst ohne Nachdenken erfassen können, statt, über die Hautfarbe der symbolischen Zebrastreifen-Benutzerin grübelnd, die echte Fußgängerin auf die Motorhaube zu nehmen?

Daher eine Entwarnung: Die Verkehrszeichen als solche sind aus der Ferne problemlos erkennbar. Erst wenn man schon gebremst und angehalten hat, wenn man sich die Sache etwas genauer anschaut, oder als Fußgänger - möglicherweise gar als Fußgänger*in! - an dem Schild vorbeigeht, beginnt es im Kopf zu arbeiten.

Früher waren auf Verkehrsschildern meist Männer mit Hüten

Dann kommt man vielleicht zu dem Schluss, dass Verkehrsschilder keiner streng logischen Form entsprechen. So wie alles, was Menschen machen, bauen und von sich geben, niemals nur Nullen und Einsen in Maschinenschrift sind. Es entspringt vielmehr einer bestimmten Gesellschaft und stellt diese zugleich dar. Was auch bei Sprache gilt, wird bei Verkehrsschildern noch deutlicher: Neben der offiziellen Mitteilungsfunktion ("Achtung, Zebrastreifen!") gibt es noch etwas Zweites, Darunterliegendes. Eine beiläufige, in diesem Fall bildliche Mitteilung darüber, wer diese Botschaft an wen richtet.

Früher waren auf Verkehrsschildern meist Männer zu sehen, vor allem Männer mit Hüten, auf dem Weg zu irgendwas Wichtigem, während auf den Fußgängerwegen Frauen ihre Kinder am Rockzipfel durch die Parks schleiften. Aber die Gesellschaft ändert sich, sie wird weiblicher. Das finden viele Männer doof. Aber, um bei Stadtpräsidentin Salerno zu bleiben, ist es nicht viel "anekdotischer" und also unsinnig, die Veränderung ausgerechnet an der Front der Verkehrsschilder für Zebrastreifen in Genf zu bekämpfen, als diese eben um ein paar Symbole von Frauen zu erweitern? Zumal es um gerade mal 250 Schilder geht, um Kosten von etwas mehr als 52 000 Euro. Die Aktion sei lediglich symbolischer Natur, sagte auch der Genfer Staatsrat Serge Dal Busco.

Trotzdem gilt bei symbolischen Aktionen natürlich das Gleiche wie bei Symbolen auf Schildern: Man kann sich herrlich darüber aufregen, wenn man die Zeit dazu hat. Dann ist die Straße wieder frei, man fährt weiter, und niemand kommt zu Schaden.

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SZ vom 18.01.2020
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