Süddeutsche Zeitung

Jugendkriminalität:Mit 24 in der Abwärtsspirale

  • Mehrere, teils schwere Straftaten hat Brian K. schon begangen.
  • Am Mittwoch musste er sich zum wiederholten Mal vor Gericht verantworten. Die Anklage forderte neben 7,5 Jahren Haft auch eine Verwahrung des jungen Zürchers - ohne zeitliche Begrenzung. Ganz so hart fiel das Urteil nicht aus.
  • Die Geschichte von Brian K. ist auch die Geschichte einer Justiz, die an ihre Grenzen stößt.

Von Isabel Pfaff, Bern

Brian K. ist erst 24 Jahre alt, aber seine Strafakte liest sich wie die eines mittelalten Gewalttäters. Mehrere Dutzend Delikte hat der junge Schweizer bereits als Jugendlicher begangen; seit er erwachsen ist, sind noch weitere, teils schwere Straftaten hinzugekommen. Mit 15 sticht Brian K. einem anderen jungen Mann mit dem Messer zwei Mal in den Rücken und lässt ihn liegen, mit 20 schlägt er einem Bekannten mit der Faust ins Gesicht, Kieferbruch. Ein eindeutig gewaltbereiter und laut einem Gerichtsgutachten auch künftig gefährlicher junger Mann. Doch die Geschichte von Brian K. ist auch die Geschichte einer Justiz, die an ihre Grenzen stößt. Und die unter dem Druck von Medien und empörter Öffentlichkeit durchaus Fehler gemacht hat.

Am Mittwoch ging ein weiteres Kapitel dieser Geschichte zu Ende. Zum wiederholten Mal musste sich Brian K. vor Gericht verantworten. 29 Anklagepunkte umfasste die Liste der Staatsanwaltschaft, darunter Körperverletzung, Beschimpfungen, Drohungen und Sachbeschädigung. Alles Vorfälle, die sich hinter Gittern abgespielt haben. Die Anklage forderte neben 7,5 Jahren Haft auch eine Verwahrung des jungen Zürchers - ohne zeitliche Begrenzung.

Weitere Straftaten und sogar Tötungsdelikte seien bei dem Angeklagten "so sicher wie das Amen in der Kirche", begründete Staatsanwalt Ulrich Krättli seine Forderung während seines Plädoyers vergangene Woche in Zürich. Brians Verteidiger forderte dagegen nur ein Jahr Haft und den Verzicht auf eine Verwahrung. Er betonte vor Gericht die unmenschlichen Haftbedingungen, denen sein Mandant immer wieder ausgesetzt gewesen sei und die bei ihm die gewalttätigen Reaktionen ausgelöst hätten.

Beim Urteilsspruch abwesend

Als Gerichtspräsident Marc Gmünder am Mittwochnachmittag das Urteil verliest, ist Brian nicht im Gerichtssaal. Schon am ersten Verhandlungstag vergangene Woche hatte er sich geweigert, seine Zelle in der JVA Pöschwies zu verlassen. Von der Entscheidung des Gerichts dürfte er deshalb über Umwege erfahren haben: Vier Jahre und neun Monate Haft sowie eine Geldstrafe erhält Brian für die ihm zur Last gelegten Taten. Verwahrt wird er jedoch nicht. Stattdessen ordnet das Gericht eine stationäre Therapie an, die in der Regel fünf Jahre dauert und bei Bedarf verlängert werden kann. Die Gefängnisstrafe wird zugunsten dieser Maßnahme aufgeschoben.

Das Gericht hat sich also für einen Mittelweg entschieden. Vor allem die angeordnete Therapie spricht dafür, dass es auch in einem harten Fall wie dem von Brian K. am grundsätzlichen Bekenntnis zur Resozialisierung junger Straftäter festhält.

Das Urteil dürfte in der Schweiz für Aufregung sorgen. Brians Schicksal spaltet das Land, und das schon seit vielen Jahren. Sein Fall erinnert an den des Deutschtürken "Mehmet", der im Alter von 14 über 60 Straftaten begangen hatte und nach enormem öffentlichen Druck schließlich in die Türkei abgeschoben wurde.

Während die einen wie bei "Mehmet" maximale Härte für Brian K. fordern, geben die anderen der Justiz, den Gefängnissen und auch den Medien eine Mitschuld daran, dass aus dem jungen Mann das wurde, was er heute ist. Tatsächlich verfolgt die Schweizer Öffentlichkeit seit 2013 sehr genau, was mit dem jungen Mann geschieht. Damals strahlte das Schweizer Fernsehen eine Dokumentation über einen Zürcher Jugendanwalt aus, der sich um Brian - in der Reportage "Carlos" genannt - kümmerte. Der damals 17-Jährige muss seine Jugendstrafe nach dem Messerangriff nicht absitzen, sondern erhält stattdessen eine spezielle Behandlung: Wohngemeinschaft mit einer Betreuerin, Privatlehrer, Box-Unterricht.

Eine Gefängnis-Odyssee, die bis heute anhält

Obwohl sich der Junge in diesem monatlich rund 30 000 Franken teuren "Sondersetting" gut entwickelt, kommt es nach der Ausstrahlung der Dokumentation zum Aufschrei. "Sozialwahn - Zürcher Jugendanwalt zahlt Messerstecher Privatlehrer, 4.5-Zimmer-Wohnung und Thaibox-Lehrer" titelt die Boulevard-Zeitung Blick. Andere Medien springen auf, die Empörungsspirale beginnt sich zu drehen. Und die Zürcher Behörden reagieren: Die spezielle Behandlung wird gestoppt, Brian landet wieder im Gefängnis - zu Unrecht, wie ein Gericht später feststellt.

Es folgen weitere Maßnahmen, auch ein paar Monate in Freiheit, dann wird Brian wieder auffällig, landet in U-Haft. Als er nach dem Faustschlag 2016 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wird, beginnt eine Gefängnis-Odyssee, die bis heute anhält - und deren Härte mehrere Experten als unverhältnismäßig bezeichnet haben. Brian verbringt viel Zeit in Isolationshaft; einmal muss er mehrere Wochen ohne ordentliche Kleidung und ohne Bett in einer Zelle zubringen, weil er zuvor seine Zelle verwüstet hat. In diese Zeit fallen die Taten, für die er nun verurteilt wurde.

Das Gericht, so führt der Präsident am Mittwoch aus, habe bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass Brian aus schwierigen familiären Verhältnissen stamme, dass er früh schlechte Erfahrungen mit den Behörden gemacht habe und im Strafvollzug teilweise zu hart behandelt worden sei. Er sei aber kein reines Justizopfer. Der Fall Brian K., das zeigt auch die jüngste Episode, ist kompliziert und wirft unzählige Fragen auf. Das Gericht hat darauf am Mittwoch eine differenzierte Antwort gefunden.

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