Debatte um den „Wolfsgruß“Muss der „Schweigefuchs“ verboten werden?

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Der "Schweigefuchs" dient dazu, Kinder zur Ruhe zu bringen. Manchmal klappt es.
Der "Schweigefuchs" dient dazu, Kinder zur Ruhe zu bringen. Manchmal klappt es. (Foto: Imago; Bearbeitung: SZ)

Die Stadt Bremen überlegt, in Kitas und Schulen eine Geste zu verbieten, die Kinder zur Ruhe bringen soll – wegen ihrer optischen Nähe zum „Wolfsgruß“. Aber gerade in der Kindererziehung spielen Gesten eine wichtige Rolle.

Von Martin Zips

Immer wieder kommt es vor, dass Gesten Verwirrung stiften. Nicken zum Beispiel ist nicht überall auf der Welt zustimmend gemeint und das Bilden eines Kreises mit Daumen und Zeigefinger wird keineswegs von jedem als Ausdruck für „okay“ verstanden. Das V-Zeichen bedeutet mal „Sieg“, mal „Frieden“ und kann in totalitären Systemen sogar lebensbedrohlich sein. In der demokratischen Welt sind zuletzt einige Fußballer mit offenbar bewusst provokant verwendeten Fingerzeigen aufgefallen.

Ausgerechnet jene Geste allerdings, mit der sich der türkische Fußballnationalspieler Merih Demiral während der EM Sperren einhandelte, wird bereits seit Jahren in abgewandelter Form in deutschen Kindertageseinrichtungen angewandt: Man spricht hier vom sogenannten Schweigefuchs. Zeige- und kleiner Finger stehen als Fuchsohren vertikal empor, der Rest der Hand beschreibt Kopf und Tierschnauze. Der Schweigefuchs ist vielleicht nicht ganz so kämpferisch gemeint wie eine zum Himmel gestreckte, geballte Faust oder die ein oder andere faschistoide Arm-Geste, sondern fordert, wenn auch bestimmt, nur zur Einhaltung der Ruhe auf. Wie der Weser-Kurier jetzt berichtet, überlegt die Stadt Bremen allerdings, das Handzeichen an Kitas und Schulen wegen seiner optischen Nähe zum Demiral’schen „Wolfsgruß“ zu verbieten. Beim Wolfsgruß handelt es sich um eine Geste der türkisch-nationalistischen „Ülkücü“-Bewegung, die vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird.

In der Kindeserziehung bietet der Einsatz von Gesten, der Psycholinguist David McNeill sprach einmal von „in Form gegossenen Gedanken“, grundsätzlich allerlei Vorteile. Bleiben sprachliche Hinweise vom Nachwuchs nämlich wieder einmal ungehört, so können auch schon kleine Gesten Stimmbänder und Nerven der Erwachsenen schonen. Vor ein paar Jahren war es vor allem der vor den Mund gehaltene, an die Stirn getippte oder wischerartig durch die Luft bewegte Zeigefinger, welcher in der mitteleuropäischen Erziehung eine herausragende Stellung einnahm. Heute ist es eher ein aus zwei Händen oder zwei überkreuzten Fingern geformtes Herz. Doch auch mit der Hand gebildete Wildhund-Köpfe werden in der Erziehung weiter gerne eingesetzt.

Könnten noch weitere, bislang als harmlos geltende Gesten auf dem Index landen?

Der Schweigefuchs, wie er jetzt aus nachvollziehbaren Gründen in der deutschen Pädagogik zur Diskussion steht, fand vermutlich erstmals im Jahr 2008 in einem Artikel der Rheinischen Post über ein „Schweigeseminar“ in der Opladener Musikkneipe „Witwe Kaiser“ Erwähnung. Zuletzt erfreute er sich als Gebärde in Schulen und Kindergärten während des Unterrichts, des Morgenkreises oder der Mittagsruhe großer Beliebtheit. Sollte er nun tatsächlich hier und dort untersagt werden, auch der deutsche Lehrerverband riet bereits zur Vorsicht, besteht die Gefahr, dass irgendwann noch weitere, bislang als harmlos geltende Gesten auf dem Index landen, da sie – von wem auch immer – böswillig missbraucht und neu konnotiert wurden. Würde dies irgendwann auch die Verbeugung, den Friedensgruß oder den Kniefall betreffen, so wäre das für eine human ausgerichtete Gesellschaft keine gute Entwicklung.

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