Schwarzenegger-Autobiografie "Total Recall":Leben auf Pump

"Wie Sex mit einer Frau" beschrieb Arnold Schwarzenegger mal den Pump, das Gefühl, wenn die Muskeln bis zum Zerreißen angespannt sind. Einige Jahrzehnte später legt der Terminator eine Autobiografie vor, die nur darauf reduziert wird, mit welchen Frauen er genau Sex hatte. Zu Unrecht.

Marc Felix Serrao

Fangen wir mit dem Orgasmus an. Oder besser: mit den vielen, vielen Orgasmen des Arnold Schwarzenegger. In dem gern unterschätzten und grandios unterhaltsamen Doku-Drama "Pumping Iron" sieht man den damals 28-Jährigen bei der Vorbereitung auf den Mister-Olympia-Wettbewerb. Es ist 1975; Schwarzenegger hat den Titel zu der Zeit schon fünf Mal gewonnen. Er ist ein Halbgott, allerdings nur in der sehr kleinen, sehr eigenen Welt des Profi-Bodybuilding. Die restliche, normal gebaute Welt kennt weder ihn noch seinen bizarren Sport. Dagegen, sagt sich Schwarzenegger, muss ich etwas tun.

Also stellt er im Film diesen Vergleich an, in gebrochenem Englisch und mit der für ihn später so charakteristischen alpenländischen Aussprache. Es geht um den "Pump" beim Training, und Arnold beschreibt mit breitem Grinsen, wie sich seine Muskeln dabei anfühlen: "als ob deine Haut gleich explodiert. Als ob jemand Luft reingepumpt hätte. Sie fühlen sich anders an. Phantastisch. Das ist für mich so befriedigend, wie wenn ich komme. Wie wenn ich Sex mit einer Frau habe und komme. Kannst du dir vorstellen, wie sehr ich im Himmel bin? Ich habe das Gefühl, im Gym zu kommen. Ich habe das Gefühl, zu Hause zu kommen. Ich habe das Gefühl, wenn ich mich backstage aufpumpe, wenn ich vor fünftausend Menschen posiere. Mann, ich komme Tag und Nacht! Ist das irre?"

Es war irre. Zur New Yorker Premiere von "Pumping Iron" erschienen 1977 Andy Warhol und Tom Wolfe. Die Kritiker? Waren hingerissen. Newsweek schrieb, "dieser täuschend einfache, intelligente Film" zeige "die menschliche Seite einer Welt mit ihrem eigenen absurden Heldentum". Und Schwarzenegger, der zuvor nur ein Freak mit Akzent war, wurde mit einem Schlag bekannt. Er wurde durch die Talkshows gereicht wie frisches Haschisch auf den Partys, zu denen er nun eingeladen wurde. Da war einer, der war nicht nur größer als alle anderen Kerle im Raum. Er konnte sich auch verkaufen wie kaum ein zweiter. Amerika, die vermutlich größte Liebe im Leben des Arnold Schwarzenegger, erwiderte jetzt seine Gefühle.

Arnold Schwarzenegger

Herbst 1979, eine Yacht im Hafen von Marina Del Rey: Der spätere Gouverneur von Kalifornien testet seine Wahlchancen.

(Foto: Getty Images)

Man muss sich das, man muss sich diese wilden, frühen Erfolgsjahre des inzwischen 65-Jährigen vor Augen halten, wenn man Schwarzeneggers druckfrische Autobiografie zur Hand nimmt. "Total Recall" heißt das mehr als 600 Seiten starke Werk, benannt nach einem seiner (schlechteren) Filme. Und man muss ein paar Worte zu den bisher erschienenen, offenbar hastig zusammengekloppten Rezensionen und Textbröckchen der Nachrichtenagenturen verlieren. Denn die konzentrieren sich fast ausschließlich auf einen späten, privaten Aspekt im Leben des Autors.

624 Seiten, schwer wie eine Hantel

"Schwarzenegger bezeichnet Affäre mit Haushälterin als Dummheit" (dapd), "Schwarzenegger räumt Affäre mit Nielsen ein" (dpa), "Schwarzenegger outet sich als Fremdgänger" (AFP) usw. Man könnte sich nun über die fortschreitende Verblödung in Teilen des Agenturjournalismus aufregen, der die Selektionskriterien des Boulevards zwar perfekt imitiert, dabei aber nicht annähernd den Witz einer, sagen wir, Bild-Zeitung erreicht. "Schwarzeneggers Memoiren (...) sind 624 Seiten stark und damit schwer genug, um sie auch als Hantel zu benutzen", heißt es in einer Agenturrezension, die bereits von etlichen Regionalblättern nachgedruckt wurde. Puh, ja. Hantel. Weil Bodybuilder und so. Und obwohl die Autorin nur das Inhaltsverzeichnis und ein paar saftige Stellen zusammenfasst und dabei keine eigene Haltung entwickelt, steht drüber: "Großspurige Beichte". Das Buch, heißt es, sei ein "dicker Schinken mit vielen Stationen seines Erfolges - aber wenig Weisheiten". Was für ein Käse.

"Total Recall" ist natürlich keine Literatur im engeren Sinne, man kann sie auch nicht als solche bewerten. Es ist eine chronologisch aufgebaute, erzählerisch unambitionierte und bilderreiche Zusammenfassung eines Lebensentwurfs - allerdings ist der so schräg und überdimensional angelegt wie kaum ein zweiter. Es ist der Entwurf eines Mannes, der sich während seiner Amtszeit als 38. Gouverneur von Kalifornien selbst als "Gouvernator" bezeichnete. Schwarzenegger, das weiß jeder, der sich mal länger als fünf Minuten mit diesem Menschen beschäftigt hat, ist keiner, der auf Distanz geht zu dem, was ihn bekannt gemacht hat. Warum auch?

Lohnende Lektüre

Wenn es im Buch um seine Anfänge als Schauspieler geht, vergleicht er diese mit seiner Zeit als Bodybuilder; es sei ihm, dem Einzelkämpfer, schwergefallen "die Kontrolle aus der Hand zu geben". Später, wenn er über sein politisches Image reflektiert ("die meisten Leute glauben im Grunde, dass ein Schauspieler wirklich so ist wie im Film"), bezieht er sich wiederum auf seine Hollywood-Karriere. Erst die Muskeln, dann die Actionfilme, schließlich der Job als Gouvernator mit Zigarrenzelt vorm Amtssitz - all das ist Schwarzenegger. Zu alldem bekennt er sich heute noch, auf die gleiche laute Art, die ihn damals, vor vier Jahrzehnten, in die Talkshows brachte.

Die ersten Kapitel des Buchs dominieren Variationen des Satzes: Warum ich zu Großem bestimmt war. Später wird daraus: Wie ich große Dinge tat. Man muss diese durch keine Ironie gebrochene Form der Selbstliebe nicht goutieren; nicht die orgiastisch zuckenden Muskelberge, nicht die Oben-Ohne-Filme wie "Conan der Barbar", nicht die ganze hemdsärmelige Inszenierung. Wer die schwitzige Moral vieler sogenannter People-Journalisten teilt, kann dem Mann auch jetzt noch vorhalten, was er mit etlichen amerikanischen Politikern, darunter einigen Nationalheiligtümern, teilt: ein chaotisches Privatleben. Doch damit würde man das, was im Buch zu Recht nur ein Kapitel ausmacht, über alles andere stellen. Das wäre so unfair wie dumm.

Denn in "Total Recall" steckt auch viel Spannendes, kaum Bekanntes. Etwa, dass das Simon Wiesenthal Center Schwarzenegger in den Achtzigern half, gegen das Gerücht, er vertrete "glühende nationalsozialistische und antisemitische Ansichten", anzugehen. Und dass dieses Gerücht damals von der britischen Zeitung News of the World in die Welt gesetzt wurde, jenem Schmierenblatt, das 2011 wegen seiner illegalen Abhörmanöver eingestellt wurde.

Oder der Kennedy-Clan. Schwarzenegger verbeugt sich zwar an vielen Stellen im Buch vor der übermächtigen Familie seiner Ex-Frau Maria Shriver, vor allem vor seinen Schwiegereltern Eunice und Sargent. Doch er beschreibt auch den extremen Ehrgeiz, den Willen zum kollektiven Erfolg, die wie geklont wirkenden Ansichten. Die Kennedys, diese Posterfamilie des Ostküstenestablishments, waren selbst Arnie, dem höchstmotivierten aller motivierten US-Immigranten, leicht suspekt.

Auch sonst lohnt die Lektüre, dieses Buch eines Mannes, dessen Leben wie ein Film war, den sich keiner hätte ausdenken können. Es sei denn, er hätte denselben irren Pump gekannt, den der junge Arnold Schwarzenegger damals nicht nur beim Training, sondern Tag und Nacht gefühlt hat. Aber wer will das schon?

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