Bettina Gaber ist promovierte Frauenärztin. Sie hat Frauen mit Kinderwunsch beraten und Schwangere betreut, sie hat über Verhütung und die Wechseljahre informiert, Vorsorgeuntersuchungen gemacht und Patientinnen mit Tumoren weiter verwiesen. Auf dem Ärzteempfehlungsportal Jameda wird sie als "Top-Ärztin" und "sehr kompetent" bezeichnet. Am Freitag sitzt Gaber jedoch nicht in ihrer Praxis im Berliner Westen, die sie seit 2008 betreibt, sondern auf der Anklagebank im Amtsgericht Tiergarten.
Denn Gaber hat auf der Website ihrer Praxis nicht nur darauf hingewiesen, dass sie Schwangerschaften begleitet, Schwangerschaftsrisiken wie Diabetes und Durchblutungsstörungen behandelt oder sich über sie eine Hebammensprechstunde finden lässt. Sondern auch darauf, dass "ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre zu unseren Leistungen" gehöre. Das aber darf sie nicht. Grund ist der Paragraf 219a, der es unter Strafe stellt, für Abtreibungen zu werben. Wer dagegen verstößt, dem drohen bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe.
Der Paragraf, der zur NS-Zeit ins Strafgesetzbuch kam, ist umstritten, einer bundesweiten Öffentlichkeit wurde er durch die Gießener Ärztin Kristina Hänel bekannt, die 2017 erstmals verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche informierte. Nach langer Debatte einigte sich im Februar die große Koalition schließlich auf eine Änderung des Gesetzes. Das Werbeverbot bleibt zwar bestehen, Krankenhäuser, Ärztinnen und Ärzte dürfen aber darauf hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Was ist Werbung, was nicht?
Damit ist das Thema jedoch nicht beendet, im Gegenteil. Denn jetzt muss die Justiz in jedem Einzelfall aufdröseln, was Werbung ist und was nicht. Vor dem Amtsgericht Tiergarten geht es daher erst einmal um vier Worte, "medikamentös, narkosefrei" sowie "geschützte Atmosphäre". Für die Staatsanwältin gehen diese über die reine Information, dass Abtreibungen vorgenommen werden, hinaus. Sie seien ein Beleg dafür, dass Bettina Gaber und ihre ebenfalls angeklagte Kollegin, die Ärztin Verena Weyer, die selber keine Abbrüche vornimmt, "wegen eines Vermögensvorteils" handelten. Sie fordert eine Geldstrafe von 7500 Euro.
Der Saal ist voll besetzt, viele Frauen sind gekommen und einige Männer. Sie mussten sich abtasten lassen und ihre Taschen und Handys abgeben, Sicherheitsvorkehrungen, wie man sie sonst in Prozessen gegen Schwerverbrecher hat. Der Grund sind die radikalen Abtreibungsgegner, die bei dem Thema oft auf den Plan gerufen werden. Gaber bekommt seit Langem Faxe und Mails mit Beschimpfungen, auf Websites wurde ihr Name veröffentlicht und das Wort "Babycaust". Einer der so genannten Lebensschützer hat die Ärztinnen dann auch angezeigt.
Gekommen ist keiner von ihnen, dafür warten vor dem Gerichtsgebäude viele Demonstrantinnen. Sie halten Transparente hoch, auf denen "Weg mit 219a" steht, eine Ärztin, die im Arbeitskreis Frauengesundheit engagiert ist, sagt, dass es immer weniger Ärztinnen gebe, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, die Angst vor Anfeindungen sei enorm, und viele würden den "Kampf gegen Abtreibungsgegner nicht mehr austragen" wollen. "Das politische Klima für Frauen und unsere Rechte hat sich verschlechtert."
Menschlich, persönlich und wirtschaftlich belastend
Im Saal B218 bestreitet indessen der Verteidiger von Bettina Gaber, dass diese einen Vermögensvorteil davon habe, Abtreibungen vorzunehmen. Dies sei vielmehr aufwendig und teuer, für Frauenärztinnen sei dies "ein menschlich, persönlich und wirtschaftlich belastender Teil der Arbeit".
Die Information, dass Gaber medikamentöse, narkosefreie Schwangerschaftsabbrüche durchführe, sei überdies notwendig, da diese nur bis zu einer bestimmten Zeit möglich seien und Patientinnen sonst Fristen verpassen könnten. Zumal sich Frauen auch anderswo nicht über die Methoden informieren könnten, die Informationen, die dem neuen Gesetz zufolge die Bundesärztekammer zur Verfügung stellen soll, gebe es noch nicht. "Diese Seite befindet sich im Aufbau", steht auf der entsprechenden Website der Bundesärztekammer.
Nach einer kurzen Verhandlung spricht die Richterin die beiden Frauen schuldig. Das Parlament mache die Gesetze, "die Gerichte wenden sie an", sagt sie. "Wenn man Gesetze auslegt, muss man also sehen, was wollte der Gesetzgeber." Sie hält das Ganze allerdings "für nicht sehr strafwürdig", zumal die Worte "in geschützter Atmosphäre" inzwischen von der Homepage der Praxis entfernt wurden. Sie verhängt eine Geldstrafe von 2000 Euro. "Der Rest ist ein politisches Thema", sagt sie noch. Das sehen auch die beiden Ärztinnen so. Sie wollen gegen das Urteil Berufung einlegen.