Schutzimpfung:Kommt Kinder, wir gehen zur Pockenparty

Die hundertprozentige Windpocken-Garantie: kein Alptraum, sondern ein Segen? Organisieren Sie eine Ansteckungsparty und bestimmen Sie selbst, wann Ihr Kind krank wird.

Von Wolfgang Koydl

Für die Kinder war es eine tolle Party. Es gab Pizza und Cookies, wilde Spiele und dann konnten sie noch eine brandneue DVD angucken.

Kinder, AFP

So macht es Spaß, sich anzustecken.

(Foto: Foto: AFP)

Zum Abschied bekam jeder noch ein Goodie Bag in die Hand gedrückt - eine Plastiktüte mit Süßigkeiten und kleinen Spielsachen.

Die Mütter der Drei- bis Sechsjährigen freilich hofften, dass ihre Liebsten noch etwas anderes von der Party mit nach Hause bringen würden: juckende Pusteln und Fieber, mithin die klassischen Symptome der Windpocken.

Was auf den ersten Blick reichlich bizarr klingt, ist in vielen gutbürgerlichen Vororten Amerikas inzwischen wieder Alltag geworden: Eltern setzen ihre Kinder bewusst dem Risiko einer Ansteckung aus - auf so genannten Windpockenpartys, auf denen so viele Kinder wie möglich mit dieser Krankheit infiziert werden sollen.

"Wir hatten es im Sommer, wir verpassten keinen einzigen Schultag, es war perfekt", schwärmt Jean Micell aus Des Plaines im Bundesstaat Illinois, deren sechs und drei Jahre alter Nachwuchs sich die Kinderkrankheit auf einer Pustelparty holten.

Bloß nichts dem Zufall überlassen

Jean gehört zu einer wachsenden Zahl amerikanischer Eltern, die herkömmliche Schutzimpfungen ablehnen - sei es aus religiösen Gründen, sei es, weil sie ihre Kinder nicht mit Chemikalien voll pumpen wollen, oder - im Falle der Windpocken-, weil sie nicht glauben, dass der Impfstoff dieselbe lebenslange Immunität garantiert, die man erhält, wenn man die Krankheit durchgestanden hat.

"Es ist eine natürliche Art mit dem Problem umzugehen", befindet etwa Connie Shoemaker aus Pittsburgh in Pennsylvania. "Das ist besser als die Kinder mit Chemikalien abzufüllen." Die Idee ist nicht neu. Eltern wissen, dass ihre Kinder sich früher oder später ohnehin Mumps, Masern oder Windpocken einfangen.

Da all diese Krankheiten in späteren Lebensjahren ernster und potenziell bedrohlicher verlaufen, wollten sie sie so schnell wie möglich hinter sich bringen - und dabei nichts dem Zufall überlassen. Bevor der Pocken-Impfstoff Mitte der neunziger Jahre in den USA zugelassen wurde, waren Ansteckparties daher keine Seltenheit.

Kommt Kinder, wir gehen zur Pockenparty

Dass sie nun eine Renaissance erleben, verblüfft und entsetzt viele Kinderärzte. "Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das dümmer ist, als eine Windpockenparty zu veranstalten", meint Mark Rosenberg, der Vorsitzende des amerikanischen Kinderarztverbandes von Illinois.

Karin Galil, vom angesehenen Center for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta stimmt zu: "Es gibt die falsche Vorstellung, dass Windpocken harmlos sind", sagte sie.

Vor Einführung der Schutzimpfung starben in den USA jährlich 100 Menschen daran, zwischen 5000 und 9000 entwickelten so ernste Symptome, dass sie klinisch behandelt werden mussten. Ferner können andere, lebensbedrohende Komplikationen auftreten.

Ein voller Erfolg: alle Kinder krank

Immer mehr Eltern freilich lassen sich davon nicht abschrecken. Mittlerweile hat sogar die respektierte Elternzeitschrift Mothering Magazine Pockenpartys ihren Segen gegeben. In einer der letzten Ausgaben veröffentlichte das Blatt Tipps für eine erfolgreiche Party - einschließlich des Ratschlages, alle Kinder in ein und dieselbe Trillerpfeife blasen zu lassen, da Speichel ein besonders guter Krankheitsträger sei.

Für Elaine Fawcett aus dem Bundesstaat Oregon reichte dies nicht. Nachdem es ihre Töchter im Alter von einem und vier Jahren nicht geschafft hatten, sich auf einem "Virentreffen" anzustecken, ging sie beim nächsten Mal auf Nummer sicher. "Die Kinder teilten Kaugummi und Lutscher", sagte sie dem Sender NPR.

"Dann gingen wir mit Wattestäbchen von Nasenloch zu Nasenloch, um die Ansteckung sicherzustellen." Die Party war ein voller Erfolg: Die Kinder hatten Spaß und auch Mrs. Fawcett war zufrieden: Ihre Töchter wurden krank.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: