Schutz vor Terroranschlägen:Freiheit sieht anders aus

Bunkerartige Gebäude aus extrahartem Beton: Bei vielen öffentlichen Bauten in den USA haben weder Architekt noch Bauherr das letzte Wort, sondern die Polizei. Doch die Terroristen suchen sich längst andere Ziele.

Von Jörg Häntzschel

Bombenanschläge sind auch in friedlichen westlichen Metropolen nichts Neues. Um 1960 verübten algerische Nationalisten Anschläge in Paris, später sorgten die Bomben der Eta in Spanien und die der IRA in Großbritannien für Schrecken. Und immer wieder wurden überall in Europa jüdische Einrichtungen angegriffen. Wirksamen Schutz davor gab es bisher nicht. Auch in New York, das seit dem 11. September 2001 in größerer Furcht vor Terrorismus lebt als jede andere Stadt diesseits der ewigen Brennpunkte im Nahen Osten, handelte man in den letzten Jahren mit einer Mischung aus pragmatischem Laisser-faire und großen Gesten. Doch das soll sich nun ändern.

Wenn Präsident Barack Obama kommt, wenn die UN-Vollversammlung tagt, wenn der Marathon stattfindet, werden an sensiblen Stellen in New York die Gullydeckel zugeschweißt, und schwere Laster voll Sand blockieren die Seitenstraßen, um Autobombern den Weg zu versperren. Kontrollposten an den Brücken und Tunneln, Taschenkontrollen in der U-Bahn, Auftritte der martialisch aufgemachten "Hercules"-Einheit des NYPD mit schwarzen Helmen und Sturmgewehren und die endlosen Polizeikolonnen, die zu keinem anderen Zweck als der "show of force" durch die Stadt kreuzen, dienen wohl eher der Beruhigung der Bürger als der Verhinderung eines Anschlags.

Doch weil versuchte oder ausgeführte Anschläge die Angst vor dem Terrorismus immer neu befeuern, gehen immer mehr Metropolen dazu über, ihre Infrastruktur mit fest installierten Schutzsystemen nachzurüsten. "Festungs-Urbanismus" nennen Kritiker diese Art städtischer Armierung, die sich oft nur unwesentlich von den Burggräben, Wällen und Zugbrücken mittelalterlicher Städte unterscheidet.

Einige dieser Einbauten kennt man seit Langem: die Poller und Betonklötze, mit denen auch in Deutschland jüdische oder amerikanische Einrichtungen geschützt werden, oder die versenkbaren Barrieren, die man im Berliner Regierungsviertel sehen kann. Mittlerweile wird die Bewehrung immer mehr zum festen Teil der Architektur, so beim Arsenal-Stadion in London, wo die riesenhaften Betonbuchstaben A R S E N A L jede Durchfahrt vereiteln.

Für den Fall, dass es dennoch gelingt, eine Bombe zu zünden, soll die Verwüstung so gering wie möglich gehalten werden. 2004 wurden in der New Yorker U-Bahn bombensichere Mülleimer installiert (seitdem sich herausgestellt hat, dass sie keinen effektiven Schutz bieten, versucht man es wie in London ganz ohne); im Pariser Gare Montparnasse soll ein Stahlnetz vor den Schließfächern herumfliegende Trümmer auffangen. In Moskau erwägt man, öffentliche Toiletten einzuführen, die einer Explosion im Inneren standhalten würden.

Nirgends ging man jedoch so weit wie bei World Trade Center 1, dem einstmals Freedom Tower genannten Bau, der als höchstes Gebäude New Yorks an Stelle der Twin Towers entsteht. Nicht der Architekt oder der Bauherr hatte hier das letzte Wort, sondern die Polizei: Auf ihr Drängen hin wurde der Standort des Turms um 20 Meter verlegt, um ihn besser vor Autobomben schützen zu können. Die Glasfassade beginnt erst auf 70 Metern Höhe. Darunter sitzt ein bunkerartiger, völlig fensterloser Sockel aus extrahartem Beton. Freiheit sieht anders aus.

Kampfflugzeuge der US Navy über dem noch nicht fertiggestellten World Trade Center in New York

Das noch nicht fertiggestellte One World Trade Center in der Skyline New Yorks. Im Rahmen einer Militärparade fliegt die Kunstflugstaffel der US Navy - die Blue Angels - darüber hinweg.

(Foto: REUTERS)

Doch die Befestigung des unter seiner Symbolrolle fast zusammenbrechenden Turms ist nur ein kleiner Teil der Sicherheitsmaßnahmen am Gelände des neuen World Trade Centers. Dort hofft man, Attentäter schon fernab ihrer Ziele aufzuhalten. Um das Finanzzentrum wird ein Ring von Kontrollstellen errichtet, die jedes einfahrende Auto passieren muss. Das Vorbild dafür ist der "ring of steel", mit dem die Londoner City seit den IRA-Anschlägen in den Neunzigerjahren geschützt wird. In New York will man sogar noch weitergehen. Die "analytischen Kameras" an den Checkpoints und an strategischen Punkten innerhalb des Rings sollen nicht nur in der Lage sein, Autonummern zu lesen, sondern auch verdächtige Situationen zu erkennen: eine abgelegte Tasche oder eine Person, die sich ungewöhnlich lange an einem Ort aufhält. Niemand zweifelt daran, dass diese Kameras wenn nicht schon jetzt, dann sehr bald verdächtige Personen in der Menge identifizieren können.

Dasselbe Überwachungssystem wird zurzeit auch in Midtown eingeführt. Seitdem der aus Pakistan stammende Amerikaner Faisal Shahzad 2010 vergeblich versucht hat, nahe des Times Square eine in seinem Auto versteckte Sprengladung zu zünden, hat das Projekt weiteren Auftrieb bekommen.

Inzwischen ist die Technik allerdings schon weiter. Seitdem Drohnen zur Kriegswaffe geworden sind, empfiehlt das amerikanische Heimatschutzministerium die kleinen Fluggeräte auch der Polizei. Sie sollen - vorerst - nicht mit Waffen bestückt sein sondern nur mit Kameras, Wärmemeldern und anderer Aufklärungstechnik. Selbst in den USA geht das vielen zu weit. Charlottesville, eine hübsche Universitätsstadt in Virginia, hat sich zur drohnenfreien Zone erklärt. Andere Städte wollen folgen.

Dass sich selbst mit der raffiniertesten Technik Anschläge wie der in Boston verhindern lassen, ist stark zu bezweifeln. Selbst wenn perfekte Überwachung möglich ist, dann nur in den Zentren. Der Schaden, den das städtische Leben durch die Aufrüstung nimmt, dürfte indes immer weiter wachsen.

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