Schüsse auf Profi-Boxerin Rola El-Halabi:"Die Hoffnung stirbt zuletzt"

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In Berlin trifft Rola El-Halabi zum ersten Mal seit einem halben Jahr auf ihren Stiefvater. Vor Gericht schildert die frühere Profi-Boxerin, wie jener verhängnisvolle Abend des 1. April ablief, als der Mann mit vier Schüssen ihr Leben veränderte. Nun kämpft sie um ihre Karriere.

Hans Holzhaider, Berlin

Es ist das erste Zusammentreffen zwischen Stiefvater und Stieftochter nach jenem verhängnisvollen Abend des 1. April: Hicham "Roy" El-Halabi, 44, und seine adoptierte Tochter Rola, 26, sitzen sich im Schwurgerichtssaal des Berliner Landgerichts gegenüber.

Als sie sich das letzte Mal sahen, in der Umkleidekabine in der Trabrennbahn Berlin-Karlshorst, hatte Roy El-Halabi eine Pistole in der Hand, und Rola hatte schon ihre Boxhandschuhe an, denn zehn Minuten später sollte sie um die Weltmeisterschaft im Frauen-Leichtgewicht kämpfen. Dann fielen vier Schüsse: Der erste traf Rola in die rechte Hand, ihre Schlaghand, der zweite in den linken Fuß, der dritte und vierte in den anderen Fuß und das linke Knie.

Ein halbes Jahr ist das jetzt her, und dass Rola El-Halabi heute wieder ohne Hilfe gehen kann, das, sagt sie, hielten ihre Ärzte für ein kleines Wunder. Sie nimmt auf dem Zeugenstuhl Platz, und als der Vorsitzende Richter sie belehrt, dass sie als Adoptivtochter des Angeklagten das Recht habe, die Aussage zu verweigern, sagt sie mit fester Stimme: "Ich will aussagen."

Der 1. April: Es sollte ihr Comeback als Boxerin sein. Zwei Weltmeistertitel hatte sie schon, aber nun hatte sie ein halbes Jahr nicht mehr boxen können, wegen der familiären Probleme - darüber wird noch zu sprechen sein. Um elf sollte der Kampf beginnen, um halb zehn saß sie in der Kabine, die Hände wurden getapt, die Handschuhe übergezogen, der Verbandspräsident kam zur Kontrolle. "Ich hörte draußen eine Rangelei und laute Stimmen, und dann fielen schnell hintereinander mehrere Schüsse. Dann ging die Tür auf, und da stand mein Vater, und wedelte mit der Pistole, und schrie: 'Alle raus'".

Der Trainer, der Arzt und der Physiotherapeut stürzten aus dem Raum, Rola war allein mit ihrem Vater."Die Tür ging zu, und dann kam schon der erste Schuss. Ich hatte die Arme ausgestreckt, und dann sah ich, wie das Blut aus dem Handschuh lief. Dann kam der zweite Schuss in den linken Fuß, und dann hat er mich auf den Boden geschmissen." Später erfuhr sie, dass bei dem Sturz Kreuzband und Meniskus gerissen waren - sie konnte nicht mehr aufstehen. Von draußen versuchten Leute, die Tür aufzudrücken, der Vater hielt sie zu und schloss ab.

Rolas Schwester schaute durch ein Fenster, sie schrie, der Vater schoss in die Decke, "und dann war auf einmal Ruhe. Er lehnte sich gegen die Tür, wechselte in aller Seelenruhe das Magazin, er redete dauernd vor sich hin: 'Du hast alles kaputtgemacht, schau, wozu du mich getrieben hast', und er hat mich eiskalt angeschaut und mir ins Knie geschossen." An den vierten Schuss, der ihren rechten Fuß traf, könne sie sich nicht mehr erinnern, sagte Rola El-Halabi. Die ganze Zeit über habe sie versucht, ihren Vater zu beruhigen, sie habe nicht geschrien, nicht um Hilfe gerufen, bis ganz zum Schluss, als sie mitbekam, dass jetzt die Polizei draußen steht.

"Und wie geht es Ihnen jetzt?", fragt der Vorsitzende Richter. Rola hebt ihre rechte Hand - der Mittelfinger ist nach vorne gekrümmt, der Zeigefinger etwas abgespreizt. Sie kann die Hand nicht zur Faust ballen, die Innenseite von Mittel- und Zeigefinger sind gefühllos, die Nerven zerstört. Über die Handfläche verläuft eine lange Narbe, dort wurde ein Stück aus ihrem eigenen Beckenknochen eingesetzt. "Wie wird es mit dem Boxen", fragt der Richter. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Rola. Und jetzt muss sie doch weinen.

© SZ vom 28.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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