Süddeutsche Zeitung

Schüsse auf Minenarbeiter in Südafrika:Blutige Eskalation eines Arbeiterkonflikts

Polizisten, die mit Maschinenpistolen auf schwarze Arbeiter schießen. Bei vielen Beobachtern wecken diese Bilder Erinnerungen an die blutige Niederschlagung der Anti-Apartheids-Bewegung. Doch bei den tödlichen Schüssen an einer südafrikanischen Mine liegen die Dinge anders.

Johanna Bruckner

Die Polizisten, in schusssicheren Westen und Helmen, weichen zurück, die Maschinenpistolen im Anschlag. Die Kamera schwenkt von der sich zurückziehenden Phalanx weg, sucht die Gefahr. Doch was sie einfängt, wirkt eher chaotisch als bedrohlich: Staubige graue Steppe, ein paar vertrocknete Grasinseln, eine Straße. Ohne sichtbare Ordnung stehen schwere Einsatzfahrzeuge der Polizei in der Ödnis, hinter denen sich weitere Beamte verschanzen.

Plötzlich kommt Bewegung ins Bild. Das Auge des Betrachters kann gerade noch erahnen, dass es sich um Menschen handelt, die in gebückter Haltung vorwärts rennen, als Schüsse die Stille durchbrechen. Sekundenlang peitschen Salven aus den Schnellfeuerwaffen der Einsatzkräfte in Richtung der vermeintlichen Angreifer, die in den Boden einschlagenden Kugeln wirbeln Staub auf. Schließlich hebt einer der Uniformierten den Arm und ruft: "Cease fire!" Feuer einstellen.

Wie viele Menschen in den zehn Sekunden bis zu diesem Abbruchbefehl sterben, lässt sich nicht sagen. Insgesamt kamen bei Schüssen südafrikanischer Polizisten auf streikende Minenarbeiter am Donnerstagnachmittag jedoch mehr als 30 Personen ums Leben, weitere wurden verletzt. Dass der tödliche Zwischenfall, der teilweise in einem Video der Nachrichtenagentur Reuters dokumentiert ist, international für Entsetzen und Empörung sorgt, liegt nicht an der Anzahl der Toten: Südafrika ist einer der Staaten mit der höchsten Kriminalitätsrate weltweit, in Johannesburg, der größten Stadt des Landes, gab es zeitweise mehr Mordopfer als Verkehrstote.

Erinnerungen an Sharpeville, Soweto und Boipatong

Vielmehr weckt der Vorfall in Rustenburg, etwa 100 Kilometer nördlich von Johannesburg, bei vielen Beobachtern Erinnerungen an das dunkelste Kapitel in der Geschichte Südafrikas. Überwiegend weiße, mit modernen Schusswaffen ausgestattete Polizisten, die gegen schwarze, mit Stöcken, Baseballschlägern und selbstgebastelten Macheten bewaffnete Arbeiter vorgehen - das klingt wie eine traurige Episode aus der jahrzehntelangen blutigen Niederschlagung der Anti-Apartheits-Bewegung.

"Es ist wie eine dieser Apartheits-Dokus", kommentiert ein Nutzer die Aufnahmen beim Kurznachrichtendienst Twitter. Und die Azanian's People Organisation, die sich für die Belange Schwarzer in Südafrika einsetzt, bezeichnet die Gewalt in Marikana als "Massaker", das mit den Massakern 1960 in Sharpeville, 1976 in Soweto und 1992 in Boipatong vergleichbar sei. Bei den drei Vorfällen waren jeweils Dutzende Apartheitsgegner vom Regime ermordet worden.

Verfolgt man jedoch die Berichterstattung über den Bergarbeiter-Streik der vergangenen Tage, scheint hinter der Schießerei weniger eine noch immer schwelende Rassenproblematik zu stecken. Vielmehr haben wohl konkurrierende Gewerkschafterinteressen letztendlich zu den tödlichen Schüssen geführt.

Seit Beginn des Arbeiteraufstandes Ende vergangener Woche war die Situation an der Marikana-Mine zunehmend eskaliert. Auslöser des Konflikts war der Streik von etwa 3000 spezialisierten Kumpeln, die sich nicht nicht mit der etablierten Bergwerksgewerkschaft abgesprochen hatten. Nach deren "illegaler Arbeitsniederlegung" sei es rasch zu "kriminellen Aktionen rivalisierender Interessensgruppen" gekommen, heißt es in einer Mitteilung des Minenbetreibers Lonmin.

Bei den Streik-Initiatoren handelt es sich um "rock drill operators": Bergleute, die für die Bohrungen im Gestein verantwortlich sind. Von ihrer Vorarbeit sind alle weiteren Arbeitsschritte zur Platin-Gewinnung abhängig. Sie fordern eine Verdreifachung ihres bisherigen Gehalts. Barnard Mokwena, Vizepräsident von Lonmin, zufolge gibt es jedoch eine auf zwei Jahre bindende Gehaltsvereinbarung mit der offiziellen Gewerkschaft der Kumpel.

Das in London gelistete Unternehmen ist der drittgrößte Platin-Produzent weltweit, in Südafrika fördert Lonmin normalerweise zwölf Prozent des insgesamten Platin-Volumens. Mit Beginn des Streiks musste der Bergwerksbetreiber jedoch die Produktion in ganz Südafrika einstellen. Das hat Folgen für den Weltmarkt und das Unternehmen: Der Preis für Platin stieg um 1,5 Prozent, die Lonmin-Aktie verlor an der Börse um mehr als acht Prozent.

Die Arbeitsniederlegung der Bohrungs-Experten hat daneben aber auch Auswirkungen auf alle anderen Kumpel: Wenn die Mine stillsteht, werden sie nicht bezahlt.

Polizei beruft sich auf Selbstverteidigung

Vor dem jüngsten Zwischenfall waren bereits mindestens neun Menschen ums Leben gekommen. Unter den Toten waren zwei Wachmänner, die in ihrem Auto verbrannt wurden; zwei Polizisten starben zudem durch Schüsse. Die Verantwortlichen wurden nicht gefasst, die konkurrierenden Arbeitergruppen beschuldigten sich gegenseitig, was die Stimmung zusätzlich aufheizte.

Zu den tödlichen Schüssen am Donnerstag kam es Medienberichten zufolge, nachdem die Polizei die Konfliktparteien aufgefordert hatte, sich zu zerstreuen. Doch anstatt auseinanderzugehen, sollen Arbeiter die Polizeibeamten attackiert haben, die sich um die verfeindeten Gruppen aufgestellt hatten. Zunächst hätten die Einsatzkräfte versucht, die Angreifer mit Tränengas und Gummigeschossen zurückzudrängen. Als jedoch einer der Männer eine Waffe gezogen habe, hätten die Beamten sich mit den tödlichen Schüssen selbst verteidigt, schreibt die südafrikanische Times unter Berufung auf die Polizei.

Der südafrikanische Journalist Poloko Tau, der für die Zeitung The Star den Streik an der Marinaka-Mine verfolgt hatte, war kurz nach dem jüngsten, tödlichen Zwischenfall vor Ort - und zeigt sich fassungslos über die Vorgehensweise der Einsatzkräfte: "Die Polizei würde doch keine scharfe Munition verwenden, dachte ich - aber ich habe mich geirrt."

Unter den Toten des Zwischenfalls sei auch sein Informant, berichtet der Reporter. Dieser habe ihm nie seinen Namen nennen wollen, identifiziert habe er die Leiche des Arbeiterführers anhand der leuchtend grünen Decke, die dieser immer getragen habe. Eine halbe Stunde, bevor die Schüsse fielen, habe er zum letzten Mal mit dem Mann gesprochen.

Mit den Worten "Wir sterben lieber, als dass wir zurück an die Arbeit gehen oder diesen Berg verlassen", habe sich dieser von ihm verabschiedet. "Seine Worte scheinen prophetisch gewesen zu sein - 30 Minuten später, traf ihn eine Kugel - augenscheinlich abgefeuert von der Polizei - in den Kopf."

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